: Keine Recherche in Sachen Giftgas
UNO und Flüchtlingshochkommisariat (UNHCR) sind an Hinweisen auf irakische Giftgaseinsätze nicht interessiert / Kritik von eigenen MitarbeiterInnen / Vorwurf der „Desinformationspolitik“ /„Persilschein erster Klasse für die Regierung in Bagdad“ ■ Aus Genf Andreas Zumach
Die UNO und das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) „gehen Hinweisen auf irakische Giftgaseinsätze gegen oppositionelle Kurden nicht nach“, sie „ignorieren vorliegende Indizien“ und betreiben eine „Informationspolitik zugunsten der Regierung in Bagdad“. Mit diesen Vorwürfen bestätigen in Genf jetzt auch MitarbeiterInnen von UNO und UNHCR einen Eindruck, der sich seit dem Beginn der iranisch-irakischen Friedensverhandlungen und der militärischen Offensive Bagdads gegen die Kurden am 25.August bei Genfer Journalisten und Beobachtern immer mehr verstärkt. Bisheriger Höhepunkt der „Desinformationspolitik“ - so ein UNHCR-Mitarbeiter - war eine nach anfänglicher Nachrichtensperre erst auf Druck des Verbandes der UNO -Korrespondenten zustandegekommene Pressekonferenz am Freitag über die bereits vergangenen Sonntag beendete Reise einer UNHCR-Kommission in die fünf kurdischen Flüchtlingslager in der Türkei und in das Grenzgebiet zum Irak. Die für Europa/USA zuständige UNHCR-Abteilungsleiterin Fioretta Cappelli erklärte, die Kommission habe „weder Giftgasopfer gesehen“ noch „entsprechende Hinweise von türkischen Ärzten oder anderen Stellen“ erhalten.
Erzählungen zahlreicher „irakischer Flüchtlinge“ über Chemiewaffenangriffe auf ihre Dörfer hat die Kommission laut Cappelli „nicht überprüfen“ können. Berichten privater Organisationen (siehe u.a. taz v.22.9.88), wonach Giftgasopfer direkt nach Grenzübertritt in türkische Militärkrankenhäuser geschafft bzw. vor Eintreffen der UNHCR -Kommission aus den Flüchtlingslagern entfernt worden sind, sei die Kommission nicht nachgegangen, erklärte sie. Im übrigen habe weder das UNHCR „die Aufgabe“ noch die Kommission „mangels medizinischer Experten die Möglichkeit“ gehabt, Giftgasverletzungen festzustellen. Dem widersprechen UNO- und UNHCR-MitarbeiterInnen entschieden. „Die Untersuchung aller Aspekte des Gesundheitszustandes von Flüchtlingen, auch solcher, die wie Giftgasverwundungen auf Verletzungen des Kriegsrechts hinweisen“, gehörten zum Aufgabenbereich des UNHCR. Eine Reihe von MitarbeiterInnen hätten vor Entsendung der Kommission darauf gedrungen, auch der Frage von Giftgaseinsätzen nachzugehen. Dies sei aber mit Rücksicht auf die von UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar vermittelten Iran-Irak-Friedensverhandlungen „offensichtlich nicht opportun“. Der bislang nicht veröffentlichte Kommissionsbericht macht ausführliche Aussagen zur Gesundheit der Flüchtlinge, die auch nur nach Untersuchungen durch Experten getroffen werden können. Er bezeichnet Unterbringung, Ernährung und Gesundheitszustand der „51.000 irakischen Flüchtlinge in der Türkei“ als „sehr zufriedenstellend“, mit Ausnahme einiger Fälle von Malaria. Berichte von privaten Flüchtlingshilfeorganisationen und türkischen Medien sprechen hingegen von bis zu 120.000 kurdischen Flüchtlingen in der Türkei. Die Aussagen Frau Cappellis wurden von vielen Journalisten als „Persilschein erster Klasse für die Regierung in Bagdad“ empfunden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen