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trotz pistole kein bier

■ verwirrende rekonstruktion eines bewaffneten imbiß-besuchs ein jahr danach / täterin wegen „versuchter nötigung“ verurteilt

„stellen sie sich vor, der richtertisch wäre der tresen, wo standen dann sie und wo meine mandantin?“ die immer neuen konstellationen im prozeß gegen die 23jährige conny b., die sich gestern vor dem amtsgericht dem vorwurf räuberischer erpressung stellen mußte, waren nicht ohne dramatik. denn als die zeugin tatsächlich dem vorschlag des verteidigers folgte und sich so hinter den richtertisch stellte, wie sie am 16. september des vergangenen jahres hinter dem tresen des imbißstandes „marktschenke“ gestanden hatte, da steckte der amtsrichter

plötzlich in der rolle der täterin. „gib mir ein bier oder ich knall dich ab!“ soll die mit vorgehaltener pistole damals über den imbiß-tresen gerufen haben. bei der gestrigen wiederholung im gerichtssaal blieb der amtsrichter an ihrer stelle jedoch stumm.

dabei war mit dem halbglatzigen, schnauzbärtigen mann namens gerd richter die rolle des richters trefflich besetzt. von seinem um 20 zentimeter erhöhten podestblickte er aus schwarzem talar mit weißer krawatte hoheitlich über den zeugentisch bis auf die verschüchterte schulklasse

hinunter, die sich auf den billigen plätzen im hintergrund des hölzernen gerichtssaales lümmelte.

von räuberischer erpressung bis zu schwerem raub mit einer mindeststrafe von fünf jahren reichte das juristische kaliber des ebenfalls mit schwarzem talar angetanen staatsanwalts gerd grziwa. doch am ende der widersprüchlichen zeugen-berichte hieß es für die angeklagte, deren blasses gesicht beeindruckte, 1.200 mark strafe für „versuchte nötigung“.

tatsächlich hatten die sechs auftritte von zeugInnen viel wirrnis ins ernste spiel gebracht. eine von ihnen, die vor einem jahr mit der pistole bedrohte imbiß-wirtin, erwies sich als langjährige nachbarin und intim-feindin der angeklagten. dafür wurde sie vom gemütlich grinsenden, aber dafür umso hinterlistiger fragenden verteidiger so lange mit worten gelöchert, bis sie selber nicht mehr wußte, wo sie an dem abend im imbiß eigentlich wirklich gestanden hatte, wer außer conny b. noch zugegen war und was die denn eigentlich gerufen hatte. als gesicherte tatsache blieb dem richter richter und seinen beiden schöffen schließlich nur noch die tatsache, daß conny b. trotz pistolen-drohung letztlich das ge

wünschte bier nicht bekommen und daß sie es eigentlich auch nicht mehr nötig hatte, denn ihr blutalkoholgehalt betrug zur tatzeit auch ohne neues bier schon 1,87 promille.

viel klareres blut hatte conny b. wohl auch nicht, als sie kurze zeit vor dem pistolen-einsatz die klingel ihrer haus -feindin gedrückt hatte und deren entsetzter tochter durch die sprechanlage zurief: „wenn du deine mutter nochmal sehen willst, komm zur marktschänke. da kannst du ihre knochen einzeln aufsammeln.“ daß dieser ton zwischen den beiden frauen nicht unüblich ist, davon gab auch die imbiß-wirtin dem gericht als zeugin mehrmals zeugnis.

„zitternd vor angst stellte die pommes-verkäuferin eine dose bier auf die theke. die 'kundin‘ trank aus und verließ seelenruhig den marktschänken-imbiß.“ so hatte die bild -zeitung die bier-bestellung vor einem jahr geschildert. überschrift: „flintenweib wollte bier oder leben.“ am ende des prozesses gegen die bleiche frau, die diesem bild so gar nicht entsprach, waren sich zumindest in einem alle einig: „bild lügt“, meinte der staatsanwalt. richter und verteidiger nickten einträchtig.

ase

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