: IWF-Kritiker in Ost-Berlin melden sich zu Wort
■ Aktionswoche von kirchlichen und autonomen Basisgruppen / Anti-IWF-Gottesdienst mit 800 Teilnehmern Kritik an DDR-Regierung, die an der Unterbringung von West-Bankern in Ost-Hotels verdient / Mahnwache und „Pilgerweg“ verboten
Ost-Berlin (dpa/taz) - Etwa 800 vorwiegend junge Menschen haben am Sonntag abend in der Ost-Berliner Sophien-Kirche an einem Gottesdienst teilgenommen, in dem aus Anlaß der Tagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank in WestBerlin Kritik an diesen beiden Institutionen geübt wurde. Die DDR sei zwar nicht Mitglied dieser Organisationen, doch seien die besten Hotelzimmer in Ost -Berlin mit Teilnehmern der Tagung belegt, erklärte ein Sprecher im Gottesdienst.
Der Handel der DDR mit Entwicklungsländern habe im übrigen dieselben Strukturen, wie sie im Handel westlicher Industriestaaten mit Entwicklungsländern bestimmend seien. Die DDR erziele im Handel mit den ärmsten Ländern Devisengewinne. Während des Gottesdienstes wurden unter Hinweis auf viele in der DDR beschäftigte Menschen aus einigen Entwicklungsländern wie etwa Mosambik auch Beispiele für Fremdenfeindlichkeit genannt.
Auf Transparenten, die von der Empore in der Sophien-Kirche gezeigt wurden, hieß es unter anderem: „IWF und Weltbank organisieren die Armut der Völker.“ Auf hektographierten Zetteln, die von einigen Teilnehmern des Gottesdienstes von der Empore geworfen wurden, wurde ebenfalls auf die Unterbringung von „Finanzhaien“ in Ost-Berliner Devisenhotels verwiesen und damit der Vorwurf verbunden, die „Bonzen hier“ (in der DDR) scheuten sich nicht, „eine runde halbe Million Dollar Schmiergelder dafür zu nehmen“. Kritik wurde daran geübt, daß die staatlichen Behörden einen ursprünglich geplanten „Pilgerweg“ zwischen mehreren Kirchen verboten hatten, und die Amtskirche ebenfalls einen solchen „Pilgermarsch“ nicht mitzutragen bereit gewesen sei.
Auch eine dreitägige Mahnwache vor der US-Botschaft konnte nicht stattfinden.
Eröffnet wurde die Ost-Berliner Aktionswoche von Autonomen und kirchlichen Basisgruppen am Freitag abend mit einem Solidaritätskonzert. Samstag und Sonntag veranstaltete dann der Friedenskreis Friedrichsfelde ein Seminar „zu Fragen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung“. Eingeladen hatte man sowohl VertreterInnen von Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt als auch Experten aus dem Ostblock. Offensichtlich wurde einigen Gästen jedoch die Einreise verwehrt. Knapp 80 TeilnehmerInnen diskutierten zunächst das Verhältnis von kapitalistischen Industrie- und Entwicklungsländern, die Rolle des IWF und der Weltbank - ob diese Institutionen im Sinne einer gerechteren Wirtschaftsordnung „demokratisierbar“ seien oder abgeschafft werden müßten.
Dr.Müritz, ein Dozent von der Humboldt-Universität kritisierte die „Einseitigkeit“ der Diskussion, er sei gegen „Maschinenstürmerei“. IWF und Weltbank seien „objektive Sachzwänge“ einer Weltwirtschaftordnung, die im Moment nicht zu überwinden sei. Von linken Kritikern mußte er sich die Frage gefallen lassen, ob er noch Marxist sei, wenn er den Kapitalismus als unabänderbar akzeptiere. Ein düsteres Bild von der ökonomischen Situation der DDR zeichnete Professor Faulwetter von der Hochschule für Ökonomie. Wenig Chancen sah er auch für die Entwicklungsländer, einen sozialistischen Weg einschlagen zu können.
Diskussionsschwerpunkt war die Rolle der realsozialistischen Länder im Weltmarkt. Fünf von ihnen, Polen, Ungarn, Rumänien, Jugoslawien und die VR China, sind bereits Mitglieder im IWF. Bei anderen Ländern steht der Beitritt bevor. Doch während ein Referent über die marktwirtschaftlichen Elemente der ungarischen Reform ins Schwärmen geriet, über soziale Probleme und wachsende Massenarmut weitgehend hinwegging und Südkorea als positives Beispiel für ein Entwicklungsland darstellte, sahen andere die aktuellen Wirtschaftsreformen in der Sowjetunion und anderen Ostblockländern mit kritischem Blick. Welche Erfordernisse aus „ökonomischer und ethischer Sicht“ müssen an den realen Sozialismus gestellt werden, um einer alternativen Wirtschaftsordnung auf den Weg zu helfen? Ist es möglich, das kapitalistische Wertgesetz so zu umgehen, daß es keine Rolle mehr spielt? Können solidarische Handelsbeziehungen zwischen sozialistischen und Entwicklungsländern hergestellt werden, zum Vorteil beider Seiten? Marx, Lenin und Ernest Mandes wurden zitiert, die sozialistische Planwirtschaft zwar grundsätzlich verteidigt, aber eine umfassende Neuordnung der Verfügungsverhältnisse an Produktionsmitteln im realen Sozialismus gefordert („Rätedemokratie mit Selbstverwaltung“).
Viel Veränderungsmöglichkeiten sahen die TeilnehmerInnen bei den gegebenen Verhältnissen nicht. Aber - und darüber gab es wenig Zweifel - wenn niemand was tut, verändert sich auch nichts. So ging man ohne konkrete Ergebnise auseinander - aber mit der Hoffnung, daß ein Anfang gemacht worden war. Denn schließlich war es das erste Mal, daß in einem solchen Rahmen kirchliche und autonome Kreise zu Streitgesprächen zusammengekommen waren.
Katharina Schmutz
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