piwik no script img

Özal bleibt trotz Wahlniederlage

Schwere Wahlniederlage für türkischen Ministerpräsidenten beim Referendum über Kommunalwahlen / Opposition fordert angekündigten Rücktritt ein / Kommunalwahl im Frühjahr nun nächster Test für Özal  ■  Aus Istanbul Ömer Seven

„Ihre Freude ist ihnen im Magen steckengeblieben. Sie waren auf 80 Prozent Nein-Stimmen aus. Doch der Bürger zeigte durch sein Votum den Wunsch nach Stabilität.“ So feierte der türkische Ministerpräsident Turgut Özal das Ergebnis der Volksabstimmung vom Sonntag. Doch nur 35 Prozent der Wähler hatten Özals Plan zugestimmt, durch eine Verfassungsänderung die Kommunalwahlen statt im Frühjahr nächsten Jahres schon im November diesen Jahres stattfinden zu lassen. Im Vorfeld hatten sowohl Özal als auch die türkischen Oppositionsparteien erklärt, der Volksentscheid sei auch als Votum über die Zukunft der Regierung Özal zu werten. Der Ministerpräsident selbst hatte in der vergangenen Woche in einer aufsehenerregenden Fernsehansprache gar erklärt, er werde bei einer Niederlage „je nach Ergebnis des Volksentscheids vom Amt des Ministerpräsidenten zurücktreten und aus der Politik ausscheiden“.

Davon ist jetzt bei Özal trotz der 65 Prozent Gegenstimmen keine Rede mehr. Nach Bekanntwerden des Abstimmungsergebnisses erklärte der Rechenkünstler, er denke nicht daran zurückzutreten. 35 Prozent seien ein voller Erfolg, und nur wenn er unter die 30-Prozent-Marke gerutscht wäre, hätte sein Rücktritt auf der Tagesordnung gestanden. Özal schwenkte damit auf den Kurs seiner Mutterlandspartei ein, die erklärt hatte, eine annähernd hohe Zustimmung beim Referendum für Özal wie bei den Nationalwahlen im November vergangenen Jahres für Özals Mutterlandspartei sei als Zustimmung für die Regierung zu werten. Bei den Nationalwahlen hatte Özals Partei 36,6 Prozent der Stimmen erhalten und war auf Grund eines kurz zuvor verabschiedeten neuen Wahlgesetzes mit der absoluten Mehrheit der Abgeordneten (292 von 450) in das Parlament eingezogen.

Die Oppositionsparteien forderten Özal auf, die im Fernsehen angekündigte Konsequenz zu ziehen und zurückzutreten. „65 Prozent der Bürger sagen, wir wollen diese Regierung nicht“, meinte der Vorsitzende der „Sozialdemokratischen Volkspartei“, Erdal Inönü. Süleyman Demirel, Vorsitzender der konservativen „Partei des rechten Weges“, sprach von einer „großen Niederlage“ für die regierende Mutterlandspartei.

Mit dem Ergebnis der Volksabstimmung ist Özals Vorhaben gescheitert, die Kommunalwahlen vorzuziehen, um anschließend ohne Wahlen vier Jahre lang sein Wirtschaftsprogramm durchführen zu können, von dem man schon jetzt weiß, daß es zu schweren Belastungen für große Teile der Bevölkerung und zu sozialen Konflikten führen wird. Die Kommunalwahlen im Frühjahr nächsten Jahres werden somit zum Testfall, ob die durch die Referendumsniederlage noch stärker angeschlagene Regierung Özal tatsächlich bis zur nächsten Parlamentswahl im Jahre 1992 amtieren kann. Kommentar auf Seite 4

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen