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ACHT MINUTEN EWIGKEIT

■ 'Bird now‘, ein Dokumentarfilm über Charlie Parker

Eine unangenehme Idee: ich bin tot und Freunde, Frauen und Nachbarn werden befragt. Wie war er denn? „Oh, er konnte nur Spaghetti kochen.“ „Beim Einkaufen vergaß er nie etwas. Heutzutage müssen sich die Männer immer alles aufschreiben.“ „Charlie Parker war ein Gentleman.“ „Charlie Parker war ein revolutionärer Musiker.“ „Charlie Parker war immer auf der Suche.“ Charlie Parker war.

Der französische Regisseur Marc Huraux, geboren 1954, ein Jahr, bevor Charlie Parker starb, hat einen Dokumentarfilm über Charles Parker Jr. gedreht, einen ehrlichen, gut gemeinten Film. Es existrieren nur zwei Originalaufnahmen, in denen Parker zu sehen ist. Beide zeigt Huraux. Die eine, zwei Minuten lang, stumm - Parker lacht. Die andere, drei Minuten lang: die Verleihung des „Down Beat Poll„-Preises 1951 an Parker und Dizzy Gillespie. Der Fernsehansager und Leonard Feather bemühen sich, peinlich zu sein, und übergeben den beiden die Preise. Parker wird gefragt, ob er etwas sagen will. Er meint, er würde es lieber musikalisch ausdrücken und dann spielen sie „Hot House“. Im Nadelstreifenanzug, statisch, nur die Finger bewegen sich und die Luft in ihren Körpern. Gillespies Froschbacken drücken seine Brille nach oben, Parkers Brustkasten pumpt die Fliege an seinem Hals auf und ab. Es ist nichts zu sehen, was man nicht hören kann. Nur die rauhe, hektische Musik der buddhagleichen Statue, der Ton eines Saxophons, der kein Bild braucht, um gehört zu werden. Ein dritter Film aus den fünfziger Jahren: Billie Holiday mit Ben Webster, Gerry Mulligan und Lester Young. Ben Webster wispert und haucht ein zerschmelzendes Solo in einem Atemzug auf dem Tenorsax, Lester Youngs schlanker, gleitender Ton swingt, indem er einfach Pausen läßt, und Billie Holidays Augen und Lächeln sind wie ihre Lieder. Unwiederholbare Träume, die für Hurauxs eigenen Film zu schwer werden.

Er bemüht sich. Interviewt die letzten Überlebenden Dizzy Gillespie, Doris und Chan, zwei von Parkers vier Ehefrauen, Tommy Potter, Roy Haynes, Earl Coleman, Walter Bishop Jr. Es bleibt sympathisch und flach. Erinnerungen, so oft wiederholt, daß sie schon wieder wahr werden. Gesten, Wohnungen, Eitelkeiten, die mehr über die Personen als über Parker sagen. Impressario George Weins widerlich verschränkte Hände über dem spiegelglatten Konferenztisch („Wann starb er gleich wieder?“). Chan Parkers liebevolles Öffnen der Saxophonkoffer Birds mit dem weißen Plastiksaxophon und ihre Bilder-Ikonensammlung. Earl Colemans langfingrige Beteuerungen, wie nahe ihm Parker gestanden habe und was er aus Birds Heroinabhängigkeit gelernt habe. Nur bei Dizzy Gillespie spürt man einmal die Musik, als er die unglaublichen Tonartwechsel Parkers beschreibt, wie er immer verschiedene Themen verschränkte „the changes fit!“ Und dann schiebt Gillespie die Finger ineinander und dreht dabei die Hände - Yardbird Suite.

Ein alter Mann steht auf der Straße, deutet hinter sich auf einen Betonspielplatz. „Dort stand das Haus, in dem ich wohnte. Und von meinem Fenster aus konnte ich immer sehen...“ Das Elend des Dokumentarfilms: Leere Plätze, sinnlose Straßen, leere Bilder, verkauft als authentischer Fernsehjournalismus, offenbar geht es nicht mehr anders. Off -Ton zu Off-Bild. Lange Fahrten an Häuserfronten vorbei, U -Bahnen durch Stahlträger, Neger vor Treppenaufgängen - New York, New York! Das Wunder - die Musik Parkers über den Bildern. Sie klingt nicht mehr verwirrend, sie ist nur mehr schön. Glatt und rauh, nervös und ruhig, so wie sein Ton auch immer aus zwei gleichzeitig gespielten Tönen zu bestehen schien.

Huraux läßt der Musik Zeit, spielt die Stücke aus, benützt sie nicht nur. Man muß ihm zugute halten, was er nicht gemacht hat: keine biographische Nacherzählung, keine detaillierte Beschreibungen von Parkers Exzessen, keine bedeutungsgeladenen Kommentare. Aber der gute Wille ist auf die Dauer zu wenig. Sein Versuch, die Vierziger mit den Achtzigern zu vergleichen, wirkt zudem mühsam. New York ist dreckig. Der Jazz gestern und heute, schwierig, schwierig, die Situation will einfach nicht besser werden. Die Musik wird bleiben, ja, ja. Die spielfilmartigen Szenen sind peinlich, die Musikveteranen zum Teil unangenehm. Dieser unterschwellige Triumph, noch zu leben. Er war der Größte, aber ich lebe noch. Wahrscheinlich würde er mit eine runterhauen für den Mist, den ich erzähle, aber ich lebe und er war der Größte und ist 1965 gestorben.

Es ist gleichgültig. Ein Film mit viel Liebe für eine Musik, die tödlich sein kann. Für die, die Charlie Parker nicht kennen - anderthalb Stunden Pflicht, den anderen acht Minuten für die Ewigkeit.

Konrad Heidkamp

„Bird now“ läuft in der Filmbühne.

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