: IWF-Blues
I W F - B L U E S Offenbar den Helden spielen wollte ein Wachmann, der Mittwoch nacht in der Viktoriapassage in der Joachimsthaler Straße mit einem Kollegen Dienst schob. Er fühlte sich von rund zehn Demonstranten, die durch die Passage kamen, bedroht und schwang zunächst den Schlagstock und versprühte Tränengas. Als die Leute ihm daraufhin Prügel androhten und einige auch handgreiflich wurden, zog der arbeitsbeflissene Wachmann seine Pistole und ließ sich, wie Augenzeugen berichten, nur mit Mühe und Not wieder beruhigen.
Die ganze Nacht um die Ohren schlagen mußte sich die Chefin des Tempodroms, Irene Mössinger, denn Tante Martha, der Star der Kindervorstellung, war verschwunden. Der Hochradkünstler hatte Mittwoch abend auf dem Ku'damm etliche DemonstrantInnen und TouristInnen mit seinen Darbietungen erfreut. Nur der Polizei schien dies nicht zu gefallen, eine B 3-Truppe riß ihn brutal von seinem Einrad und transportierte ihn ab. Die energische Chefin schaffte es aber, ihren Kinderstar rechtzeitig zur gestrigen Vormittagsvorstellung aus dem Knast freizubekommen.
„Phantasie und Realität sollen zusammenkommen“, meinte gestern ein anonymer Anrufer, der die Polizei in den Grunewald geschickt hat. Nach seinen Vorstellungen hätten Mittwoch abend ca. 150 Autonome sich im Grunewald versammelt, um das Restaurant Schildhorn zu stürmen, teilte er der Polizei mit. Diese zog auch gleich rund 20 Wannen vom Ku'damm ab und rauschte ins Grüne. Bereits am Nachmittag hatte der Phantast zehn Wannen zum Theodor-Heuss-Platz zitiert, weil dort angeblich „20 Chaoten“ versuchten, die Freiheitsflamme zu löschen.
Etwas Positives hat die IWF/Weltbanktagung immerhin den SchülerInnen der Sophie-Scholl-Gesamtschule in Schöneberg eingebracht. Geht ihr Unterricht normalerweise täglich bis 16.15 Uhr, so bekamen die Kinder diese Woche einige Stunden erlassen. Gestern durften sie auf Anordnung der Schulleitung wegen bevorstehender Krawalle bei der Autonomen-Demo sogar schon um 11 Uhr nach Hause gehen. Dies freute nicht nur die SchülerInnen, sondern auch einige Eltern, die bereits überlegt hatten, ihre Kinder am Donnerstag überhaupt nicht in die Schule zu schicken.
Brav und linientreu plappert übrigens mittlerweise die Junge Union all das nach, was der Innensenator erzählt. So hat sie gestern „das besonnene Vorgehen der Polizei“ gelobt und die „zunehmende Gewaltbereitschaft von Berufsdemonstranten“ verurteilt.
taz
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