: First thing U learn U always gotta wait
■ warten - das magazin
Warten, während man mit 230 Stundenkilometern über die Autobahn rast, sich einen Highball schießt, viel Geld verliert. Warten im endlosen background-Gebrabbel einer Vernissage, in Zeitfallen nächtlicher Kneipen oder sonstwo, da nichts mehr zu tun bleibt.
Fremde Kräfte, die deine Zeit verwalten - dagegen setzen die Macher von 'warten, das magazin‘ Beispiele eigener Orientierung, von Intensität & Kraft. Das klingt deutsch.
Großformatik & in winzige Schrift brodelt es auf 120 Seiten vor sich hin: Interviews mit dem deutschen Langstreckenpilot & Cut-up-Autor Jürgen Ploog, mit William S.Burroughs, Paul Virilio & einem Mitglied der Vikink Youth; Porträts der amerikanischen Mech(M)aniker Survival Research Laboraties, dem letzten totalen Kult, der Church of the SubGenius & der jungen Berliner Gruppe Dead chickens. Eine Unmenge von Literatur des internationalen Underground (Kathy Acker, Carl Weissner, Klaus Maeck, Ango Laina, Udo Breger, Mel Clay u.v.a.) mischt sich mit wissenschaftlichen Essays über neuronale Rechner, Quantentheorie & zellulare Kommunikation.
Die Texte sind aufgesplittert, über Spalten verteilt & so liest man auf einer Doppelseite eine post-strukturalistische Abhandlung über Gore- & Splattermovies, einen völlig durchgeknallten Text, in dem es irgendwie auch um schwarze Magie & „Sprachfaschismus“ geht („Aleister Crowley sagt: 'Tu, was du willst!‘. Joseph Beuys sagt: 'Jeder Mensch ein Künstler!‘. Ich sage: 'Jeder Mensch ein Millionär!'“) & eine ausführliche Analyse der Beteiligung der CIA an dem Massaker in Jonestown. Das hört sich recht konfus an, doch der Redaktion ist es gelungen, verschiedene literarische Formen so zu vermengen, daß sich die Beiträge aneinanderkoppeln & ergänzen. Da brechen die Gedanken aus.
warten ist zwar scharf unterteilt (Blocks von aufeinander bezüglichen Text- & Bildmaterial wechseln sich ab) & auch diese Bleiwüste in kleiner Schrift trägt zu dem Eindruck von formaler Strenge bei, dafür geht es inhaltlich umso heftiger zu.
Ein Schwerpunkt der ersten Ausgabe liegt bei den Cyberpunks von William Gibson (der ebenfalls mit einer short-story vertreten ist) & hier zeigt sich augenfällig, was das Aufbrechen der Texte vermag: Rund um Gibsons Wintermarket zirkulieren Auszüge aus einem Cyberpunkt -Computer-Netz, ein Beitrag über „Electronic devices for brain stimulation“, ein sprachlich schillerndes Manuskript bezüglich Computer-Theologie & andere Stories, die die „stret-smart„-Atmosphäre des Cyberpunk einfangen. Dieser Underground steht der Technik nicht feindlich gegenüber, die wissenschaftlichen (teilweise knochentrockenen) Berichte sind in eine sie belebende & von ihnen inspirierte Umgebung eingebettet.
warten, tough & jeden Moment explosionsfähig, eine kritische Masse, wenn sich plötzlich Fragmente einer Doktorarbeit über Amphetamie oder Partikel eines kulturwissenschaftlichen Aufsatzes über die zunehmende Abstraktion & Fremdwerdung der Sinne zwischen Geschichten über das Massaker im Zuchthaus (Hamos), Drogen, Sex, Wunscherfüllung & Tod (Leimer) oder „Crash-Tv & car“ beziehungsweise die weltweite Verschwörung der Bankiers („Conspiracy theory“) schieben. „Kugeln werden abgeschossen
-nicht versprochen!“ (Jacques Mesrine) & sinngemäß schreit die globale städtische Subkultur ihren Angriff heraus. Es ist einerseits diese Ballung - manchmal - alptraumhafter Intensität zwischen den Covern & andererseits die Beimengung schlichter & sachlicher Essays, die die Aussagekraft von warten ausmachen.
In den jeweils einem ungefähr 20seitigen Textblock folgenden Illustrationsblöcken sind die einzelnen sprachlichen Beiträge bebildernde Fotos, Graphiken und anderes zu finden. Daneben fällt der Blick auf für sich stehendes Material: so die Malerei von Stefan Hoenerloh & Paul Mavrides oder die Fotos der französichen Performance -Gruppe Royale de Luxe - da braucht es keine Worte mehr. Walter Hartmann ist mit grellbunten, sehr, sehr merkwürdigen Collagen vertreten (Stalin mit Brathähnchen in der Küche ist noch das Gemütlichste). Von dem an einer Überdosis „Speed“ verstorbenen amerikanischen Zeichner Rory Hayes ist ein abstruser, expressionistisch anmutender Comic abgebildet. (apropos expressionistisch...; warten stellt den Drehbuchautor des deutschen expressionistischen Films, Carl Mayer, vor & druckt nebenbei Auszüge aus einem verschollenen Drehbuch Mayers). - Transparentpapier! Sie arbeiten mit Transparentpapier! Die Redaktion muß den von ihr dargebotenen „Künstlern“ an Besessenheit zumindest gleichen.
Am Ende des in drei Sprachen (deutsch, englisch, japanisch) gehaltenen Heftes findet sich lobenswerterweise ein umfangreicher Teil, networking betitelt, in dem Literaturangaben, Filme oder Adressen, eben weiter verweisendes Material angeführt sind. (Die Adressen sind schon eine Goldgrube für sich: „Saucer Technology; Specializing in research into electronic levitation, antigravity propulsion & other „unusual“ energy systems. Lern how to build your very own flying saucer! Fool your friends! Scare your neighbors! Get shot down by the Air Force & never be heard from again!“); es ist verblüffend, wie anregend Literatur & Sachinformation sein können.
Lest es auf der Toilette (excremeditation wie die Church of the SubGenius sagt), während der Arbeitszeit oder wartend auf das Rendez-vous! „It's not art! It's more than art! It's an occupation!“ (Mark Pauline, SRL)
Jimmy Screw & Johnny Hardon
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