: Chronik der sich überholenden Ereignisse
Fortsetzung von S. 28 / Von der mißratenen „Schwarzen Messe“ über Alice Schwarzer und den taz-Palästina-Konflikt bis zur Geiselaffaire / Mit dem Weserkraftwerk und dem ASTA durch zwei Sommerlöcher / Kursorisches aus 20 lokalen taz-Monaten ■ Satan & ABM
Februar 1987
3.2. Der Premieren-Kritikerin Christine Spieß hat es gar nicht gefallen bei der, von der taz drei Tage zuvor promoteten 'Schwarzen Messe‘: „Zwar: Teuflisch gesalzen waren die Eintrittspreise von 15 DM, infernalisch der Lärm der Musiker, höllisch die Hitze und pestilenzialisch der Geruch irgendeines verbrannten Zeugs, das einem die Tränen in die Augen trieb. Aber da hat's mit dem Satanischen auch schon ein Ende. Der Rest: Ein dilettantischer Auftritt...“
7.2. Lang, lang hat B.D. recherchiert, um dann den LeserInnen auf zwei Seiten die ganz Wahrheit über hiesige ABM-Stellen zu sagen: „Bremen - eine Stadt auf ABM gebaut“.
18.2. Til Mette zeichnet Senator Franke beim Pommes-Frites -Essen in der dringend subventionsbedürftigen Shakespeare Company. Selbst die Kunstbehörde fragt sich jetzt verwirrt: War der Kunstsenator nun endlich im Theater oder nicht?
21.2. Stadtwerke entdecken taz als Werbemedium.
28.2. Äußerst unzufrieden ist der taz-Träger-Dienst mit dem verspäteten Andruck und dem mangelnden innerbetrieblichen Informationsfluß. „Eineinhalb Stunden im Kalten gestanden Wir haben die Schnauze voll“: Streik!
Cheyennen am Teerhof
März 1987
4.3. Hermann Rademann unterbreitet als „hermann the german“ ein neues Teerhofkonzept: „man könnte doch das gelände dem nordamerikanischen indianerstamm der cheyennes übergeben und sie dort siedeln lassen, daß sie ein indianerdorf mit allen schikanen aufbauen, ... und wir bremer könnten viel lernen von den pfeifchen und den weisheiten des alten westens... und nick cave und die einstürzenden neubauten würden peter zadek vom floß tragen, weil sie es noch geiler finden, auf dem teerhof mit allen bremer trommlern und indianerchören eine riesenfete steigen zu lassen.“ - hermann the german wird nie wieder für die taz schreiben. Er nahm sich in der vergangen Woche das Leben.
11.3. Neue Rubrik für unzensierte Selbstdarstellungen von „Projekten, Initiativen“.
18.3. Weitere Rubrik begründet - für Klatsch und Tratsch. Ein gewisser „Franz Gans“, dessen genaue Identität nie festgestellt werden konnte, zieht über die meisten Möchte -Gern-KandidatInnen zur Bürgerschaftswahl her. Es gibt viel böses Blut und wilde Spekulationen über den gewissenlosen Urheber.
April, April 1987
1.4. Die „taz Bremen & umzu GmbH“ verwaltet ihre Defizite ab sofort selbst. Die Bremer Filiale bekommt von ihrer Berliner Muttergesellschaft bis auf weiteres immerhin 5.000 Mark im Monat Unterhalt.
Es ist erster April und Klaus Schloesser berichtet überzeugend von einem sensationellen Fund unter'm Dom. Überreste eine römischen Militärlagers und eines Amphittheaters aus der Cäsarenzeit sollen dort zu lokalisieren sein - nach Notizen des römischen Geschichtsschreibers Gnaeus Semponius Sallo...
Atomstrom & Party
Mai 1987
2.5. Neu-Mitarbeiter Holger Bruns-Kösters, Spezialist für Müll, Straßenbau und Atom
strom, meldet als erster: „Bremerhavens SPD führt das Bremer Ausstiegskonzept ad absurdum. Der Vertrag mit dem Atomstromstromlieferanten soll schon jetzt verlängert und die Arbeit des Energiebeirates unterlaufen werden.“ Der Artikel ist Auslöser für monatelange Debatten, die in einer Niederlage münden.
15.5. Der „Kneipen-Beobachter“ Thomas Krämer-Badoni, ein großer Gönner der taz, läd zu einem kostspieligen Essen. Jeder Gast, der sich schröpfen lassen will, muß 1.000 Mark mitbringen, alle zahlenden Gäste zusammen übergeben 22.000 Mark als taz-Einlage.
„I“ im Juni 87
20.6. Das Ende der Bremer Nachrichten (BN) wird im Verlagshaus in der Martinistraße diskutiert und in der taz mitverfolgt. Anfang November wird der BN-Lokalteil tatsächlich mit dem des Weser-Kuriers gleichgeschaltet.
24.6. Das große „I“ ist plötzlich da, dick und fett ausgedruckt. Wie, wann und durch wen es genau in den Bremer Lokalteil hereinkam, ist nach wie vor unklar, aber eines steht fest: In der Lokaltaz vom 24.6. tauchen erstmals „SchülerInnendaten“ auf.
Gezimmerter Roman
Juli 1987
Während die Politikredaktion für das Weserkraftwerk kämpft, macht sich Kulturredakterin Sybille Simon-Zülch beim weiblichen Publikum unbeliebt. Diesmal ist es nicht Alice Schwarzer, sondern Liz Wieskerstrauch, die sie sich kritisch vornimmt, noch genauer, deren neuen Roman „Spurensuche“. Simon-Zülch: „Wir zimmern uns eine Roman / Laubsägearbeit in Prosa“. (3.7.) Leserin Sasa Lienau schlägt vor: „Last Eure Kulturseite für eine Weile ruhen.“
18.7. Die Kulturredaktion führt eine neue Rubrik ein „Der Kultur auf der Spur“. Von Woche zu Woche streifen links -bildungsbürgerliche und andere VagabundInnen durch Bremen und gestatten Einblicke in ihren meist recht anspruchsvollen persönlichen Kulturfahrplan.
Teerhof satt
August 1987
Kultur-Redaktion startet erfolgreiche Serie „Buch-Handlungen
Wandlungen“ (2.8.). taz-Politi kasterInnen interessieren sich nur noch für den Teerhof; damit hat der Dauerbrenner des Vormonats, das Weserkraftwerk, eine würdige Nachfolgerin gefunden
„Nazis raus“
September 1987
Michael Weisfeld unterhält sich mit allgemein gemiedenen rechtsnationalen „Unpersonen“, so mit dem Rentner Hans Altermann, der für die DVU in die Bürgerschaft einzieht. Und Altermann hat was zu erzählen: Im Mai hat er auf eine Postwurfsendung der DVU geantwortet. Schon im Sommer wurde er als Spitzenkandidat nominiert, weil die NPD nur politisch unerfahrene Leute auf die Liste setzte.
Uta Stolle nimmt sich der Parole der Stunde „Nazis raus“ an und stellt Fragen: „Wie schafft man allein die 'raus‘, die die 13.000 Stimmen abgegeben haben, die die Liste-D bei den Wahlen in Bremen und Bremerhaven bekommen hatte? Soll man alle nach Paraguay evakuieren?“ (16.9.)
Ab 18.9. ist der Lokalteil nicht mehr - bei der ersten Lokalpolitik-Seite angefangen - von hinten, sondern eben ganz normal, wie jede andere Zeitung auch, von vorne aufzublättern.
Feiern und Betteln
Oktober 87
1./2.10. taz feiert einjährigen Geburtstag. Die Party steigt im Zirkus Althoff, natürlich auf dem viel beschriebenen Teerhof. Organisator Oliver Wegener im Nachhinein über das von ihm engagierte Ensemble für experimentelle Symphonik: „Kroß sprengt Freundschaften, aber leider auch das Fest -Konzept“. Nur wer nach „Kroß“ noch geduldig ausharrte, konnte gegen 2 Uhr zu Salza tanzen.
Am letzten Oktobertag beginnt die taz mit ihrer zweiten Geld-Sammel-Kampagne, wirbt um 100 neue GesellschafterInnen -Einlagen und fragt so ehrlich wie dramatisch: „Wird die Bremen-Taz 1988 überleben?“
Prostitution
November 1987
Etliche Highlights glänzen in der herbst-winterlichen Bremen taz: Sei es ein Reisebericht aus „Bremen/Georgia USA, ein Report aus dem Männer-Strip, oder eine Wedemeier-Regierungs -Er- klärung, die in der taz steht, bevor sie den ParlamentarerInnen vorgetragen wird, der entscheidende Stein des Anstoßes ist aber die provokative Frage am 26.11., ob die LeserInnen Anzeigen von Telefon-Prostituierten in „ihrer“ Lokaltaz tolerieren würden. Da Prostituierte bei Bremer Anzeigenblättern hohe Aufpreise bezahlen, hatte sich ein kleiner Kreis um die Gruppe „Nitribitt“ überlegt, faire Konditionen mit der taz auszuhandeln.
Sammeln gehen
Dezember 1987
Uta Stolle hält ein Plädoyer wider die „Armutskultur“, für GesellschafterInnen-Einlagen und dafür, „daß eine Bremen-taz nicht ist, sondern entsteht.“ (5.12.) Gut tut die Solidarität Bremer JournalistInnen, die vor Weihnachten eigens eine Anzeigen-Serie schalten: „Die Bremer Morgenpost ist tot...“ / „Die Bremer Nachrichten sind (fast) tot...“ / „Und der taz geht's auch schon ganz schlecht...“
Januar-Spots 1988
Die Geschäftsführung zählt die Eingänge auf dem Konto und jubiliert: Die 100.000 Mark sind da. Das ist nochmal gerade gut gegangen. Die Redaktion läuft in der zweiten Januar -Hälfte zu exklusiver Höchstform auf. B.D. erinnert nostalgisch an die Bremer Straßenbahnunruhen (16.1.), K.W. enthüllt den drohenden Doktorhut für den Daimler-Vorstand Dr. hc. Werner Niefer (21.1.), B.D. findet heraus, daß das höchst erfreuliche Erscheinen einer schnauzbartlosen Moderatorinbei „Buten und binnen“ u.a. auf einen Kantinen -Scherz unter Radio-Bremen-Männern zurückzuführen ist. „Buten un binnen“ droht potentiellen taz-InformantInnen die Entlassung an (22.1.). M.W. tritt in der Presse den St. -Jürgen-Skandal los mit dem Bericht: „Warum Galla wirklich ging“. K.S. enthüllt Pläne, das Gymnasium Hamburger Straße zu schließen (27.1.)
Palästina
Februar 1988
Am 15.2. berichtet B.D. von einer denkwürdig radikalen Demonstration, bei der munter skandiert wird: „Hoch lebe der Volksaufstand, jagt die Zionisten aus dem Land.“ Diese Berichterstattung löst die größte Lese-Briefla
wine in der kurzen Geschichte der Lokaltaz aus. Verbohrte Demonstrations-Organisatoren legen der taz schließlich eine Beilage bei, die neben abstrusen Thesen von der intimen Kooperation der Zionisten mit den Faschisten anti-semitische Karikaturen enthalten.
B.D. veröffentlicht Interview mit Anne H., das Viertel -BewohnerInnen das vertraute Steintor aus einer neuen Rand -Perspektive zeigt: „Seit zwölf Jahren auf dem Acker.“
Frauen-Streik
März 1988
Die Berliner taz-Frauen streiken nach einer lokal erschienenen „Spaß-Porno-Seite“ zwei Tage lang gegen das hausinterne Patriarchat. Die abgekämpften Bremer taz-Frauen hinter ihren grauen Computern begreifen den Aufstand ihrer zentralen Berliner Schwestern erst in seiner Brisanz, als er schon vorbei ist. Sie sind - traurig aber wahr - so krampfhaft fixiert darauf, ihre Artikel möglichst noch vor Belichtungsende fertig zustellen, daß sie das entfernte Geschehen in Berlin hauptsächlich in die Kategorie „Produktionsstörung“ einordnen.
Bremer taz-LeserInnen vermissen heftig und zu Haufdie ausbleibenden Solidaritätsadressen.
Radio Bremen
April 87
Die Phantasie der LeserInnen wird heftig angeregt durch zwei große weiße Stellen auf den Lokalseiten, sie vermuten Sabotage oder Zensur. Dir Ursache für die weißen Löcher ist jedoch prosaisch: Wieder einmal hatten RedakterInnen das Belichtungsende überschritten, die Pinneberger LayouterInnen verzichteten jedoch darauf, diese ihnen sattsam bekannten weißen Peinlichkeiten durch beliebig eingeklebte Fotos zu kaschieren (11.4.).
Die unerbittliche Medien-Kritikerin Sybille Simon-Zülch beendet ihre selbstverordnete „masochistische“ häusliche Radio-Hör-Phase und schlägt dreimal fundiert-furios zu: „Wo die Hansa-Wellen rauschen, gibt's Gestammel abzulauschen“. Der Sender steht Kopf, ein Hauptabteilungsleiter bescheinigt ihr (fast) „geistige Diarrhoe“, das Wort „Hausverbot“ macht bei Radio Bremen die Runde.
Der taz-Reporter mit autono
mer Vergangenheit, diba, wird bei den höchst autonomen „Internationalsmus-Tagen“ rausgeworfen. Er zieht Konsequenzen: „Ich werde keine Texte mehr zu Fa/Antifa, Garlstedt, Hausbesetzungen und ähnlichen Themen mehr schreiben.“
Neue Schreibe
Mai 1988
Auf der Kulturseite sind aufregende neue AutorInnen zu lesen: Als da sind Garcia Maria Mercedes, der sich in Ihlpol („da möchte ich nicht tot über dem Zaun hängen“) bei einer Vorentscheidung zur Mißwahl unversehens als Jurymitglied wieder fand. Und da ist Petra Höfer, die „Wish you were here“ definitiv zu ihrem „88er Lieblingsfilm“ erklärt.
Gaslla, Galla
Juni 1988
Klaus Schloesser recherchiert eifrig in St.-Jürgen-Gate.
Sibylle Simon-Zülch landet einen neuen Coup: Sie seziert die nackte Titelstory des „Bremer Blatt“: „Sesselpupsers Kraft durch Freude.“ Till Mette karikiert passent dazu ein Arschloch daß sich der Bremer-Blatt-Redaktion für die nächste Sommerloch-Ausgabe empfiehlt (29.6.).
ASTA, ASTA
Juli 1988
Die Politikredaktion rettet sich dank des ASTA-Finanz -Skandals über ihr Sommerloch, diba startet eine zeilenschindende High-tec-Serie und die Kulturredaktion ruft den „CultureClub“ ins Leben.
Klaus Wolschner geht einem Neo-Nazi-Überfall in der Neustadt nach, versucht, die Kripo auf Trapp zu bringen und legt sich mit autonomen Antifaschisten an, die den „Tod der Faschisten“ fordern. Die Quittung kommt aus der Sprühdose, ein Lob auf den „Weser-Kurier“ prangt seither am taz-Eingang (25.7.).
Dirk Asendorpf interessiert sich für die Roma, die aus Jugoslawien nach Bremerhaven umsiedeln. Ein Thema, an dem sich Grüne später scheiden.
Geiselnahme
August 1988
Zwei Geiseln sterben. taz-Bremen veröffentlicht ihr zugespielte Abschriften vom Polizeifunk, die beweisen, daß die Festnahme der Bankräuber-Freundin von der Polizei ohne Anweisung der Einsatzleitung geplant war. taz-Bremen ist außer empört auch ein bißchen stolz: Der Lokalteil wird in der Tagesschau erwähnt.
Am 30.8. kommt Hille Darjes als erste Eintages -Chefredakteurin und ist beunruhigt: „Vier leere Seiten schreien einen stummen Schrei, und nichts passiert.“
Golf im
September 1988
St.-Jürgen schindet wieder Zeilen und taz enthüllt: Der IWF -Kongreß kommt nach Bremen zum Golfspielen. und: MBB will heimlich Kriegsgerät nach Südafrika verkaufen.
Eintages-Chefredakteur Jürgen Müller-Othzen wirft das Zeitungskonzept um und füllt statt einer gleich vier Kulturseiten mit politischen Theater-MacherInnen.
Am 29.9. stellt sich die Redaktion zum Gruppenfoto auf den Balkon, um die LeserInnen zum Geburtstag über ihr äußeres Erscheinungsbild zu informieren.
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