: Kabinett der Kuriositäten
Drunter und drüber ging's beim olympischen Boxturnier ■ FLIPS & FLOPS
Bei den an Skandalen und Merkwürdigkeiten nicht gerade armen 24. Olympischen Sommerspielen erwies sich eine Veranstaltung als ganz besondere Fundgrube für Kuriositäten und Kalamitäten: das Boxturnier. Fast jeden Tag gab es hier Fehlleistungen und Mißgeschicke zu bestaunen, wie sie sonst eigentlich nur Jürgen Hingsen, dem Mann, der schneller startet als der Schall, und seinem Erzrivalen Daley Thompson, der hoch in der Luft seinen Hochsprungstab in Kleinholz verwandelte, vergönnt waren.
Am Anfang standen die Boxer aus den USA, die großspurig wie gewohnt eine Wette abschlossen, wem wohl der schnellste Knockout gelingen würde. Der Sieger stand bald fest: Weltmeister Kelcie Banks, der nach wenigen Sekunden seines ersten Kampfes von einem Niederländer zu Boden gestreckt wurde und dort drei Minuten lang verweilte. Gar keine Chance, in den Ausgang der Wette einzugreifen, bekam Anthony Hembrick. Der Mittelgewichtler verpaßte den Bus und wurde in Abwesenheit zur Niederlage verurteilt.
Mehr Glück hatte der Kanadier Pagendom, der seinen Kampf gegen einen Mongolen nach Punkten verlor und dennoch zum Sieger erklärt wurde. Der Ringrichter hatte sich in der zweiten Runde nämlich schlicht verzählt. Da war der Mongole zu Boden gegangen und hätte eigentlich ausgezählt werden müssen, was die Schiedskomission später am grünen Tisch nachholte. Ein ägyptischer Ringrichter suchte sich gar das falsche Opfer aus. Kaum hatte ein sowjetischer Faustkämpfer seinen italienischen Gegner niedergeschlagen, wurde der erstaunte Mann selbst bis acht angezählt. Das Gelächter des Publikums machte den Referee schließlich auf seinen Irrtum aufmerksam, er drehte sich kurzerhand herum und begann noch mal zu zählen.
Der Halbweltergewichtskampf von Todd Foster (USA) gegen Chun Jim Chul mußte sogar wiederholt werden. Mit einem „Stopp“ hatte der Ringrichter nach Erklingen des Gongs die erste Runde beendet, worauf der Koreaner folgsam und diszipliniert seine Ecke aufsuchte. Nicht so der Amerikaner. Der eilte seinem Widerpart hurtig nach, beförderte ihn zum Entsetzen der 7.500 Zuschauer mit einer wuchtigen Linken aus dem Hinterhalt in den Ringstaub und war dabei sogar noch im Recht. Der Gong galt nämlich für den anderen in der Halle befindlichen Ring, während für den Koreaner eine Glocke zuständig war.
Viel Freude bereitete dem Publikum ein fettleibiger kuwaitischer Schwergewichtler, der, frenetisch angefeuert von vermummten Landsleuten, durch den Ring tänzelte und grimassierte, daß es eine Lust war, und drei Runden gegen einen übermächtigen Sowjetboxer durchhielt. Dieser hatte sich allerdings schnell entschieden, seinem putzigen Kontrahenten nichts anzutun, und vollführte neunminütiges Schattenboxen in Vollendung.
Die meiste Aufregung verursachten die koreanischen Zuschauer, Trainer und Funktionäre, die nach einem Urteil gegen ihren Goldfavoriten den Ring stürmten und auf Ringrichter und Punktrichter einprügelten. Die Funktionäre und Betreuer wurden lebenslänglich gesperrt, saßen am nächsten Tag aber dennoch wieder quietschvergnügt und unbehelligt am Ring. Nach diesem kollektiven Tobsuchtsanfall häuften sich unsinnige Urteile zugunsten koreanischer Boxer, so daß ein realistischer sudanesischer Trainer, dessen Schützling gegen eine Koreaner anzutreten hatte, bereits das Handtuch zur Aufgabe warf, bevor ein einziger Schlag ausgeteilt worden war. Insgesamt wurden 19 Punktrichter vorzeitig nach Hause geschickt, die Kampfrichter aus Kenia, Algerien und Indonesien dürfen nie wieder bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen agieren.
Heute finden die Finalkämpfe statt. Wir wünschen einen fröhlichen Knockout.
Matti
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