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Richtigstellung: Dr. Fuchs contra Dr. Scherf

■ „Ich habe viel Verständnis für den freizügigen Umgang von Politikern mit Fakten, aber derart falsche Aussagen grenzen an Perfidie“ / Züricher Oberarzt Fuchs gegen Äußerungen des Sozialsenators Scherf zum Schweizer Methadon-Programm

Mit „Fakten“ wartete auf einer öffentlichen Veranstaltung der SPD zu Methadon am 7.9.88 der Bremer Sozialsenator Henning Scherf auf: Den Schweizern sei das Programm „aus den Händen geglitten“, Methadon werde „unkontrolliert und wildwüchsig“ vergeben, selbst der Schweizer Methadonpolitiker Prof. Uchtenhagen warne inzwischen vor ähnlichen Programmen. Klaus Jarchow vom grünen Kreisverband Mitte/Östliche Vorstadt schrieb an Uchtenhagen und bat ihn um Stellungnahme zu den Scherfschen Aussagen. Der Schweizer

Oberarzt Dr. Fuchs aus der Züricher Uniklinik gab in Uchtenhagens Namen Antwort:

1. Mir ist unklar, worauf sich Senator Scherf stützt, wenn er davon spricht, daß die „Schweizer Praxis der Methadonvergabe“ den Drogenpolitikern aus den Händen geglitten sei. Eindeutig falsch ist die Aussage, daß gesamtschweizerisch eine „unkontrollierte, wildwüchsige“ Vergabe von Methadon mit einem ausgedehnten Schwarzmarkt für das synthetische Opiat und mit einer hohen Anzahl von Methadontoten herrsche. Es gibt in der Tat einen

Schwarzmarkt wie überall, wo es illegale Drogen gibt, jedoch ist der Anteil des Methadons auf diesem Schwarzmarkt gering, und noch geringer ist der Anteil, der aus therapeutischen Programmen stammt. Mir ist unklar, was unter „wildwüchsiger Vergabe“ gemeint ist. Für den Kanton Zürich ist der Zugang zu Methadon im Juli 1987 erleichtert worden, nicht jedoch die Abgabebedingungen.

Eindeutig falsch ist die Aussage von der „hohen Zahl“ von Methadontoten. Leider gibt es keine gesamtschweizerische Sta

tistik, die die Ursachen der Drogentodesfälle differenziert aufschlüsselte, jedoch können wir uns auf eigene Untersuchungen stützen, die zeigen, daß die Mortalität unter Methadonpatienten geringer ist als bei nichtbetreuten Opiatabhängigen.

Eindeutig falsch ist die Bemerkung, Prof. Uchtenhagen würde vor der Übernahme des Schweizer Modells der Drogenpolitik warnen. Nebenbei sei bemerkt, daß es so etwas wie ein „Schweizer Modell der Drogenpolitik“ gar nicht gibt, da die förderalistische Struktur der Eidgenossenschaft den einzelnen Kantonen mit Recht großen Spielraum bei der Ausgestaltung der eigenen Drogenpolitik läßt.

Worauf Herr Uchtenhagen in der Tat immer wieder hingewiesen hat, sind die illusionären Erwartungen, die von Politikern und Nichtspezialisten häufig im Zusammenhang mit Methadon gehegt werden.

2. Die Aussage, daß in allen Ländern mit Methadonpro grammen die Zahl der Methadontoten die der Herointoten übersteige, wird der Herr Senator wohl kaum mit Zahlen belegen können, da es erstens nur wenige darüber gibt und es zweitens allen Publikationen über Methadon widerspricht. Ich habe viel Verständnis für den freizügigen Umgang von Politikern mit Fakten, aber eine derart falsche Aussage über Methadon-und Herointote grenzt an Perfidie.

3. Diese apodiktische Behauptung müßte erst belegt werden. Im Juni 87 wurde im Kanton Zürich der Zugang zu Methadon erleichtert; die Gründe waren genau die, daß man sich erhofft, die Prävalenzrate (Rate der Neuansteckungen, d. Red.) HIV-Positiver unter Drogenabhängigen senken zu können. In der Tat ist Skepsis angebracht, ob eine Substitutionsbehandlung dies massenhaft leisten kann. In unserem Hause ist man dabei, dies zu evaluieren.

Allerdings gibt es einige Hin

weise dafür, daß Methadon tatsächlich einen Beitrag zur Senkung der Neuerkrankungsrate leisten kann. Das eine sind amerikanische Untersuchungen älterer Blutseren, die von Novick vorgenommen wurden und die zeigen, daß der Anteil HIV -Positiver unter Methadon geringer als in einer Vergleichsgruppe war. Zum anderen konnten wir in unserem eigenen Methadonprogramm zeigen, daß diejenigen Patienten, die vor einem Jahr den Test machten und HIV-negativ waren, dies nach einem Jahr noch immer sind. Das heißt, innerhalb dieser Gruppe ist es zu keiner Neuinfektion gekommen.

Auch wenn man solche Befunde nicht überinterpretieren soll, geben sie doch einen gewissen Hinweis ab. Schließlich sei auf die Schriften der WHO hingewiesen, die eindeutig die Ausweitung von Methadonbehandlungen befürwortet. Mit freundlichen Grüßen, Dr. med. W. J. Fuchs, Zürich

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