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Liebe zur Heuchelei

■ Die Olympische Flamme ist seit gestern ausgeknipst

So manche Funktionäre hierzulande feiern die letztlich mit 40 Stück doch reichliche Ausbeute an Buntmetall. Andere sind in die nacholympische Disziplin des Hauens und Stechens eingetreten, wo es gilt, die Versager in den Verbänden abzusägen oder die eigene Haut vor den Besserwissern zu retten. Die Aktiven, vorher so heiß auf Olympia, wollen nichts wie weg aus Seoul, fort vom Sicherheitsperfektionismus, vom Hundefutter und der Kasernierung im Olympischen Dorf. Wir Nicht-Aktiven haben dreierlei gelernt: Wenn sich die Jugend der Welt trifft, geht dies anscheinend nur noch mit einer perversen Sicherheitsmaschinerie. 36.000 Polizisten gestern auf der Marathonstrecke, also pro Meter fast einer, sind das augenscheinlichste Beispiel. Zum zweiten haben wir Westdeutschen gezeigt, was in uns steckt: Schießen, Reiten, Fechten, auch Tennis - im internationalen Maßstab sind das olympische Nebendisziplinen. In den traditionellen Wettbewerben wie Leichtathletik und den Ballsportarten reicht's im besten Fall zum Mittelmaß.

Die Doping-Affaire um Ben Johnson lehrte uns die Verlogenheit des vermarktungswütigen IOC und der Sportjournaille. Wie heuchlerisch uns zum Beispiel ZDF -Smartie Dieter Kürten am Tag 1 nach Big Ben voller Selbstmitleid vorsäuselte, jetzt habe er gar keine rechte Lust mehr an der Moderation, das war schon dreist. Als wenn nicht gerade die JournalistInnen bestens Bescheid wüßten, wie da gespritzt und geschluckt, wie gelogen und betrogen wird. Aber die blauäugige Liebe zum Betäubungsmittel Sport als Opium fürs hymnengeile Volk und zum eigenen aufregenden Job ist ihnen allemal wichtiger als die schonungslose Ehrlichkeit vor Lesern und Zuschauern. Und: Wenn wir im taz -Sport von manch genialer Leistung wie dem Vierfach -Fehlstarter Jürgen Hingsen, dieser athletischen Mischung aus Heino und Kohl, so richtig begeistert waren, haben wir das Bewußtsein dem schönen Schein auch manchmal hintangestellt.

Bernd Müllender

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