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International gegen Waffenbrüder

■ Am Stationierungstag der deutsch-französischen Brigaden in Böblingen demonstrierten Tausende von Menschen aus mehreren europäischen Ländern gegen die Waffenbrüderschaft für ein Europa ohne Waffen

Böblingen (taz) - Drinnen stehen ein paar Wachen mit ihren Schießprügeln herum. Sie haben Schießbefehl, belehrt ein Schild am Sicherheitszaun. Draußen vor dem Tor der Böblinger Wildermuthkaserne sammeln sich Friedensbewegte aus mehreren Ländern Europas. Gegen Atomwaffen, Raketen und die Einrichtung einer gemeinsamen deutsch-französischen Waffenbrüderschaft, die Brigaden, protestiert man auf schwyzerdütsch ebenso wie auf französisch, italienisch, griechisch und deutsch. Eine alte Frau erzählt, wie sie im Dritten Reich deutsch-französische Freundschaft verstanden hatte - zusammen mit Mitgliedern der französischen Resistance hatte man politisch Verfolgte von Böblingen nach Frankreich geschafft. Dann beginnt ein Höllenlärm. Trommeln, Rasseln und Glocken der „Aktion Jericho“ rufen mit der Tübinger Kapelle Trutzblech zur Demonstration. Im Samba -Rhythmus ziehen mehrere tausend DemonstrantInnen durch den trist-geschäftigen langen Samstag der Böblinger Innenstadt zur Kundgebung vor dem Rathaus.

Zahlreiche Friedensgruppen, Jungsozialisten, Grüne, DKP, Deutsche Friedens-Union, christliche Gruppen und GewerkschafterInnen hatten für Samstag, den 1.Oktober, dem Stationierungsbeginn für die deutsch-französischen Brigaden, zum Protestmarsch gerufen. Mehrere Tausend waren gekommen, ein paar hundert allein aus Frankreich. Angeführt wurde der Demonstrationszug vom kommunistischen Bürgermeister der französischen Partnerstadt Sindelfingens, dem ehemaligen Resistance-Mitglied Roger Combrisson. Zur Festigung der Freundschaft und Aussöhnung mit Frankreich brauche man keine Atomwaffen, auch keine französischen und erst recht keine Waffenbrüderschaft deutsch-französischer Brigaden. Für ein Europa ohne Massenvernichtungswaffen, ohne militärische Bedrohung, „das Gemeinsame muß friedlich sein“, lauteten die Parolen.

Seit dem Wochenende und der Ernennung Gorbatschows zum sowjetischen Staatspräsidenten, freute sich der Grüne Bundestagsabgeordnete und Friedensforscher Alfred Mechtersheimer auf der abschließenden Kundgebung, gehe Glasnost und Perestroika erst richtig los: „Das wird in Paris und Bonn einigen Angst machen.“ Die Bundeswehr sei schon jetzt eine Armee ohne Feind, und die menschenverachtende Militärpolitik der französischen Regierung blockiere die europäische Sicherheitspolitik.

Die militärische Verstärkung der Achse Paris-Bonn, so Bürgermeister Combrisson, widerspreche den Interessen der europäischen Völker. Man wolle keine Gemeinsamkeiten in der nuklearen Abschreckung, sondern in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Katrin Fuchs forderte einen neuen sicherheitspolitischen Konsens zwischen der BRD und Frankreich und eine gemeinsame europäische Friedensordnung. Entweder, so Frau Fuchs, entstünden jetzt neue Impulse für eine weitere Abrüstung, oder die derzeitige Abrüstungsblockade der BRD und Frankreichs führe zu einer neuen europäischen Supermacht - Europa.

Der baden-württembergische Europa-Parteitag in Kehl hat am Samstag in einer Resolution die Böblinger Veranstaltung begrüßt. Ansonsten, so einer der wenigen anwesenden Sozialdemokraten, hätten die Abgeordneten seiner Partei den Arsch zusammengekniffen. Den KundgebungsteilnehmerInnen blieb das auch nicht erspart: Die Verwaltung des Böblinger SPD-Bürgermeisters hatte die eventuelle Benutzung von Rathaus-Latrinen nur für prominente Kundgebungsteilnehmer erlaubt.

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