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Pädagogisches Gericht

■ Amtsrichter spielte vor Schuldunfähigem Strenge

Nachdem sich Richter, Pflichtverteidigerin und Staatsanwalt kurz und leise auf die Einstellung des Verfahrens geeinigt hatten, wandte sich Amtsrichter Kornblum wieder mit strenger lauter Stimme an den Angeklagten: „Haben Sie sich überlegt, daß sie damit einen hätten tot machen können?“ Zweimal hatte Bruno G. im vergangenen Jahr ein Kabel am Bahnübergang Brauerstraße durchgeknipst. Als er beim zweiten Mal beobachten wollte, wie sich daraufhin die Schranke nicht mehr öffnen ließ, schnappte ihn die Bahnpolizei.

„Wir machen das hier nur aus pädagogischen Gründen“, hatte Richter Kornblum schon kurz nach Beginn der Verhandlung mitgeteilt. Denn Bruno G., der in einer beschützenden Einrichtung lebt und unter „Gebrechlichkeitspflegschaft“ steht, ist nicht „schuldfähig“, wie es im Juristendeutsch heißt, sondern „schwachsinnig“, wie der Richter es nennt.

„Ich hab das Kabel durchgeschnitten, aber eigentlich wollte ich das nicht“, erklärte Bruno G. aufrichtig. „Warum haben Sie's dann trotzdem getan?“ will Richter Kornblum wissen. Die Frage bleibt unbeantwortet. Dafür erklärt der Pfleger: „Ich kenne Bruno G. seit sieben Jahren, etwas Ähnliches ist noch nie passiert.“ Schließlich sei sein Schützling unter ständiger Betreuung, da bliebe so etwas nicht verborgen.Staatsanwalt Schmundt erinnerte daran, daß im Falle Bruno G.s bei Wiederholungsgefahr statt einer entsprechenden Geldstrafe mit der Strafeinweisung in eine geschlossene Anstalt zu rechnen sei. Doch dafür sei das Kabel-Knipsen am Bahnübergang „nicht verhältnismäßig“, beruhigte der Richter.

Nach einer guten halben Stunde beendete das Gericht seine „pädagogische“ Veranstaltung. „Beim ersten Mal ist man noch gnädig, aber das darf sich nicht wiederholen, sonst kommen Sie nicht mehr so davon“, mahnte Richter Kornblum den Angeklagten. Der hatte schon Tränen in den Augen und versicherte: „Ich werde das nie wieder machen, nie wieder.“

Ase

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