: Labour on the road to Godesberg
Die britische Labour Party versucht sich auf ihrem Parteitag in Blackpool an einer verspäteten Sozialdemokratisierung / Oskar Lafontaine als Ideenspender / Großbritanniens Linke hofft auf „soziale Dimension“ des EG-Binnenmarktes / Kinnock will Heilige Kühe schlachten ■ Aus Blackpool Rolf Paasch
„Das Beste und Positivste, was ich in den vergangenen Jahren in Sachen Labour Party gesehen habe“, gestand das linke Vorstandsmitglied Ken Livingstone seiner Zuhörerschar auf einer Rahmenveranstaltung zum diesjährigen Labour-Parteitag in Blackpool, „war Harry Perkins.“ Nur daß Harry Perkins, die Hauptfigur des Fernsehfilms „The very british Coup“ eine rein fiktive Figur ist, habe ihn etwas beunruhigt. Denn Premierminister wurde jener Harry Perkins nur auf dem Bildschirm, während Ken Livingstones Partei in der trüben politischen Wirklichkeit Großbritanniens weiterhin eine nur allzu reale Krämerstochter bekämpfen muß.
Viele Labour-Politiker und Anhänger schauen lieber Fernsehen, als sich der undankbaren Aufgabe zu widmen, die Lehren aus dem Erfolg des Thatcherismus herauszudestillieren. Nur zwei Beispiele aus Blackpool: Während die Anti-Gewerkschaftsgesetze der Regierung Thatcher nicht zuletzt deswegen so populär waren, weil sie die Gewerkschaften zur Demokratisierung ihrer Strukturen zwangen, hat es die Labour Party bis heute nicht geschafft, ihre undemokratischen Organisations- und Entscheidungsstrukturen zu reformieren. Wenn der fortschrittliche Gewerkschaftschef der „General Workers Union“, John Edmonds, hinter vorgehaltener Hand von einer Änderung jenes Abstimmungsverfahrens spricht, das den großen Gewerkschaften einen überproportionalen Einfluß sichert, dann wirft ihm sein Kollege Ken Gill gleich Verrat an der Arbeiterklasse vor. Während die kleine „Communist Party“ die Lehren aus dem populären Privatisierungsprogramm der Regierung zieht und in ihrem neuen Programm einen grundsätzlichen Umbau des Versorgungs- und Sozialstaates fordert, den „postfordistischen“ Arbeits- und Sozialbeziehungen Rechnung trägt und den Verbraucher als politisches Wesen entdeckt, verbringt die Labour Party kostbare Zeit damit, die „Dinosaurier der Arbeiterbewegung“ von der Unsinnigkeit blinder Rückverstaatlichung zu überzeugen. Diese Probleme der Rückständigkeit, so hofft die Parteiführung unter dem am Montag klar bestätigten Neil Kinnock, soll der „Policy Review“ beseitigen, eine auf zwei Jahre angesetzte Programmerneuerung, die nächstes Jahr abgeschlossen werden soll. Um an die Macht zu kommen, so deutet Kinnock am Dienstag in seiner Grundsatzrede an, müsse vielleicht gar die Heilige Kuh einer einseitigen Abrüstungspolitik geschlachtet werden. Noch viel offener ließ er seinen revisionistischen Gedanken zur zukünftigen Wirtschaftspolitik Labours freien Lauf. Die Partei müsse beweisen, „daß wir eine effiziente und sozial gerechte, wettbewerbsfähige Marktwirtschaft besser steuern können als die Konservativen“. Was Bergarbeiterchef Arthur Scargill zu der Bemerkung veranlaßte, daß dies nicht mehr die Partei sei, der er einmal beigetreten sei. Doch für die Mehrheit der Delegierten sind die Zeiten vorbei, in denen das sozialdemokratische Modell der BRD als zu moderat, die Einheitsgewerkschaften als zu angepaßt galten. Mit dem verbitterten Hinweis auf die Quotierungsregelung der SPD setzten die Labour-Frauen mit Ach und Krach ihre Forderung durch, daß in den Wahlkreisen, in denen sich eine Frau bewirbt, ein weibliches Wesen zumindest auch auf der Auswahlliste der Partei erscheinen muß. „Es ist einfach lächerlich“, so eine Labour-Abgeordnete, „um welche Krümel wir hier kämpfen müssen.“
Doch nicht nur bei der Parteiführung, den Frauen und vielen Lokalpolitikern der Labour Party ist das föderale, sozialdemokratisch verfaßte Gesellschaftsmodell der BRD „in“. Gerade in der undogmatischen Linken ist derzeit niemand populärer als Oskar Lafontaine, der provokative Gedankenschmied aus Germany. Das Wochenmagazin 'New Statesman‘ druckte seine ganze Parteitagsrede ab, ein für Großbritanniens insulare Linke wahrhaft revolutionärer Vorgang. Und das kommunistische Konkurrenz-Magazin 'Marxism Today‘ plant ein Interview mit dem bundesdeutschen Exportartikel Nr.eins. Gerade diejenigen, die von den oberflächlichen Sozialdemokratisierungsversuchen der Parteiführung nichts wissen wollen, verschlingen Lafontaines Vorschläge zur Steuer-, Umwelt- und Arbeitsmarktpolitik, als hätte ihnen ein neunjähriger Ideenhunger sämtliche Geschmacksnerven zerstört.
Die Linke blickt auf Saarbrücken und Brüssel und erhofft sich von dort den konstitutionellen, rechtlichen und sozialstaatlichen Anschluß an Europas Sozialdemokratien. Daheim träumt sie unterdessen von Harry Perkins.
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