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Hör-Funken: "Die geliebte Stimme" / "Deutsche Schulaufsätze"

Stimmfest. („Die geliebte Stimme“, 1505-1600, Deutschlandfunk) Es gibt viele sinnlose Telephongespräche, aber keins erreicht die schöne Sinnlosigkeit der Telephonorgie in Jean Cocteaus Stück La voix humaine, in dem eine Frau mit ihrem Ex-Geliebten verdrahtet ist und über ihre „unsinnig-glückliche Liebe“ und manches mehr räsonniert, bis Cocteau schließlich das Wesen des Telephons

-vorausgesetzt es hätte eins - aufdeckt, indem er die Dame den Apparat an die Brust drücken, die Schnur sich um den Hals legen und den Wunsch äußern läßt, nun möge das Amt sie trennen. Da das Amt sein Amt aber nicht ausübt, übernimmt sie selbst es und erdrosselt sich kurzerhand mit der Telephonschnur, womit sich einmal mehr die Wahrheit der saloppen Redeweise bestätigt, die vom An-der-Strippe-Hängen spricht. Cocteau verstand sein Telephon-Drama für Stimme & Apparat als moderne Form des antiken Orakelspruch-Theaters, „denn es gibt nichts, das mehr Orakel sein könnte als das Telephon“. In der Aufnahme des Schweizer Rundfunks von 1954 produziert sich Brigitte Horney als die Frauenstimme.

50 Jahre deutsche Schulkaserne. („Deutsche Schulaufsätze“ (1), 1530-1600, NDR 3) Wenn die Schule Kaserne für Kinder ist, dann sind deutsche Schulaufsätze ihre Drillplätze. Leider verschwinden diese Monumente der Untertanenproduktion immer in privaten Reliquienschreinen, wo sie nur unter Beimischung erheblicher Sentimentalitäten von Zeit zu Zeit betrachtet werden. Aber: „Ältere HörerInnen folgten in großer Anzahl der Bitte, dem NDR Aufsätze aus ihrer Schulzeit für eine Dokumentation zur Verfügung zu stellen.“ Was da an Schreckensgebilden zum Vorschein kommt, überspannt die Zeit von 1913 bis 1955 und fünf Abschnitte der deutschen Geschichte. „Wenn man bedenkt, welche Zucht vor dem Kriege in unserem Volke herrschte, so sieht man jetzt fast das Gegenteil“, schrieb 1924 ein 16jähriger Altersweiser von der Oberschule. Früh übte sich, wer zum Pflicht- und Ordnungsmenschen wurde. Ständig beteiligt an diesen Einübungen waren die Schulmeister. Opportunismus gegenüber den jeweiligen Mächten wie Kaier, Kanzler, Führer steht bei ihnen ganz oben auf der Tugendliste. Mangel an eindeutiger Ordnung und Herrschaft löst bei ihnen vor allem Unmut, Unsicherheit und Opposition aus. Bisher gab es in Deutschland besonders die furchtbaren Politiker und Juristen. Nach den Dokumenten deutscher Schulaufsätze darf der furchtbare deutsche Studienrat in die Reihe gestellt werden. Teil 2 der Sendung folgt am nächsten Mittwoch.

Abendländische Kultur. („Gibt es eine abendländische Kultur?“, 2200-2300, Hessen 2) Kurz nachdem im Oktober 1948 der Hessische Rundfunk gegründet worden war, setzten sich in seinem „Abendstudio“ Walter Dirks (christlicher Sozialist) und Hans Mayer (damals gerade Literaturprofessor in Leipzig geworden) zusammen, um diese bewegende Frage, die selbst schon ein Ergebnis abendländischer Kultur ist, zu debattieren und zum Schluß zu kommen, daß es sie nicht mehr gebe. Zum Trost aller abendländischen Kulturvertreter konzedierten sie jedoch, Bruchstücke von ihr seien übriggeblieben. Seither werden sie verzweifelt gesucht und, abgesehen von den jährlichen Karnevalssitzungen, höchstens gefunden, wenn etwa das Gespräch zwischen Dirks und Mayer vierzig Jahre später wiederholt wird.

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