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Vorwärts zum sozialistischen Surrealismus!

Mit Straßenhappenings und Beatnik-Aktionen nimmt Polens Spaßguerilla „Orange Alternative“ die lächerlichen Verhältnisse ernst „Internationaler Tag des Spitzels“ und Klopapier-Zeremonien / „Die todernsten Reden der Opposition bringen nichts“  ■  Von K.Bachmann/R.Hofwiler

„Laßt uns den internationalen Tag des Spitzels begehen“, stand auf dem Flugblatt, „kommt alle in die Swidnicka -Straße.“ Dem Aufruf folgten über hundert Breslauer. Sie zogen sich dunkle Mäntel an, setzten sich Sonnenbrillen auf, schlugen die Mantelkrägen hoch und begannen am hellichten Tag die Passanten in der Breslauer Innenstadt anzuhalten: „Ihren Ausweis bitte.“ Das Spektakel zog natürlich auch die echten Spitzel und ihre uniformierten Brötchengeber an, die begannen, das Happening zu umstellen. Da geschah Unerwartetes: Die falschen Spitzel ließen ihre echten Kollegen hochleben. Und das Ganze endete dann nicht etwa mit einem Schlagstockeinsatz, sondern mit dem vereinten Absingen der Internationale.

Solcherlei Happenings wie letztes Jahr in Breslau sind in Polen inzwischen keine Seltenheit mehr und das ist das Verdienst der „Orangen Alternative“. Die hat das Ganze angefangen und über Breslaus Grenzen hinaus bekannt gemacht. „Sozialistischer Surrealismus“ nennt sich das und erfunden wurde es von dem Kunststudenten Waldemar Frydrych. Im Gegensatz zu anderen polnischen Oppositionsgruppen veranstaltet der mit seinen Anhängern keine bierernsten Demonstrationen, die zumeist mit einem Knüppeleinsatz der Polizei enden, sondern fröhliche Happenings, die Partei und Ordnungsmacht so aufs Korn nehmen, daß die sich kaum dagegenwehren können. Soll die Miliz tatsächlich Leute verhaften, die sie hochleben lassen? Natürlich weiß jeder, der dabeisteht, daß das Ganze ironisch gemeint ist, aber wie soll man das nachweisen? Frydrych war trotzdem schon mehrmals im Knast, wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ oder „Verkehrsbehinderung“. „Die paar Tage Knast“, meint er, „das hälst Du schon aus.“ Schmerzlicher sind da die hohen Geldstrafen, die er regelmäßig noch zusätzlich aufgebrummt bekommt.

Vom Organisieren weiterer Happenings hält ihn das nicht ab. Etwa davon, dem „Toilettenpapier zu huldigen“. „Der Sozialismus“, erklärte er in einem Flugblatt, „hat es geschafft, das Klopapier zum höchsten Gut zu machen, wonach zu streben sich lohnt.“ Schrieb's und begann mit seinen Gefolgsleuten dieses knappste Gut der Volksrepublik öffentlich zu verteilen. Und wieder saß Frydrych hinter Gittern.

Verrückt in verrückten

Verhältnissen

Gelernt hat der mittlerweile über 30jährige Breslauer sein Geschäft schon frühzeitig. Es habe damit angefangen, vertraute er einer Untergrundzeitung an, daß er sich vor dem Militär habe „drücken“ wollen. Also habe er einen Verrückten gespielt, so perfekt, daß er prompt im psychiatrischen Krankenhaus landete. „Wir waren da gleich mehrere Wehrdienstverweigerer, die versuchten, Verrückte zu spielen, und ein paar wirklich Verrückte, die versuchten, normal zu wirken. Völlig absurd.“ Damals wohl muß ihm der Gedanke gekommen sein, das Absurde an Polens Alltag aufzuzeigen durch schlichte Darstellung.

Außer der Miliz nahmen es am Anfang auch westliche Journalisten ernst. Als die Breslauer „Gartenzwerge“ die Rehabilitierungen einstmals verfemter Moskauer Kommunisten auf die Schippe nahmen und für die Rehabilitierung Trotzkis auf die Straße gingen, schrieben einige Presseagenturen, in Breslau hätten Trotzkisten demonstriert. „Die Politik“, erklärt Frydrych dazu, „überlassen wir den Altoppositionellen und den Kommunisten.“ Von beiden haben inzwischen schon einige an Frydrychs Aktionen teilgenommen. Und der Erfolg gibt ihm recht. Das Straßenkabarett der „Gartenzwerge“, wie Frydrychs Nachahmer auch genannt werden, taucht in der letzten Zeit an zahlreichen polnischen Universitäten auf. In Warschau nahmen sie die letzten Regionalwahlen aufs Korn. Die Wahlslogans der „Zwerge“ standen den offiziellen Spruchbändern an Absurdität in nichts nach: „Indem Du für Dein Land arbeitest, arbeitest Du für Dein Land.“ Das Spektakel war so gelungen, daß das ZOMO -kommando, das die Demonstranten umstellt hatte, zum Feind überlief: In einer großen polnischen Wochenzeitung verteidigte der Kommandeur der Einheit anschließend seine Entscheidung, den „Gartenzwergen“ seine Lautsprecheranlage zu überlassen. „Ich bin“, erklärte er in Anlehnung an die Terminologie der „Zwerge“, „doch kein Schlumpf.“

Daß einerseits seine Aktionsform immer größere Verbreitung findet und andererseits die Polizei ihre Schwierigkeiten hat, sich auf diese neue Demonstrationstaktik einzustellen, ist für Frydrych und sein Gefolge Beweis dafür, daß er in eine oppositionelle Marktlücke gestoßen ist. „Die Opposition reagierte bisher auf die lächerlichen Reden unseres Generals mit todernsten Demonstrationen. Und nichts verändert sich“, sagt Frydrych. „Wir dagegen reagieren einfach genauso lächerlich.“ Dadurch werde den Leuten das Lächerliche des polnischen Systems erst bewußt und, so die Argumentation weiter, was man verlache, jage einem keine Angst mehr ein. „Wir wollen den Leuten auch die Furcht vor der Polizei nehmen, indem wir sie so lächerlich machen, daß sie sich nicht dagegen wehren kann“, erklärte Frydrych einer Breslauer Untergrundzeitung. Dem Zulauf zu seinen Happenings nach zu schließen, dürfte ihm das gelungen sein. Unterdessen beginnen die Grenzen zwischen offizieller Propaganda und ihrer Karikierung durch die „Orange Alternative“ langsam zu verschwimmen. Mitten in Warschau steht ein riesiges Plakat. Aufschrift: „Wenn nicht wir, dann wer? Wenn nicht jetzt, dann wann?“ Wer war das jetzt, die Partei oder Frydrych?

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