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Zwischen Todesangst und Freddy Quinn

Was geschah im entführten Flugzeug? / Entführer Muhamad Ali Hammadi wird im Verlauf des Prozesses immer mehr zu einer schillernden Persönlichkeit, der man das Bild vom Unschuldslamm nicht glauben mag - nach Zeugenaussagen schwankte er zwischen Brutalität und Rührseligkeit  ■  Aus Frankfurt Heide Platen

Muhamad Ali Hammadi ist eine schillernde Persönlichkeit. Lügen, sagte der Beamte des Landeskriminalamtes, der den Flugzeugentführer kurz nach seiner Festnahme im Januar 1987 fast täglich verhörte, seien das gute Recht eines jeden Beschuldigten und Angeklagten. Hammadi nutzte dieses Recht in den anderthalb Jahren seiner Gefangenschaft und während des Verfahrens, das am 5.Juli dieses Jahres begann, weidlich aus. Hammadis Geschichten muten manchmal an wie die eines arabischen Märchenerzählers. Er fabulierte noch während der Flugzeugentführung vor den Leuten herum, die er bedrohte und brutal mißhandelte, erzählen Zeugen. Einmal erzählte er der Chefstewardess, er habe eine Frau und eine kleine Tochter gehabt. Die seien im Libanon bei einem Bombenangriff getötet worden. Ein anderes Mal erfand er, seine Ehefrau kämpfe gemeinsam mit ihm um die Freiheit im Libanon.

Hammadi ist ein für seine VerteidigerInnen schwieriger Mandant, ein Angeklagter, der alles tut, um das Bild, das sich das Gericht von ihm während der Hauptverhandlung machen muß, nachhaltig zu trüben. Einerseits hat er sich wohl vorgenommen, nichts zu sagen, was ihm in seiner Heimat als Verrat an der Hisbollah ausgelegt werden kann. Andererseits bringt er es nicht fertig, auf seine selbstdarstellerischen Auftritte zu verzichten.

Hammadi, der seine Taten vom Sprengstoffschmuggel bis zur Entführung der TWA-Maschine im Lauf des Verfahrens scheibchenweise eingestand, muß sich mittlerweile nicht nur für den Mord an dem amerikanischen Marinetaucher Robert Stethem verantworten. Die Staatsanwalt reichte inzwischen auch eine Klage wegen versuchtem Mordes nach. Der Zeuge Kurt Carlson hatte ausgesagt, er sei sowohl von Hammadi als auch von dem zweiten Entfüher so brutal geprügelt worden, daß sowohl die Täter als auch die Chef-Stewardeß dachten, er sei tot.

Hammadi versuchte ein Bild von sich zu zeichnen, daß ihn, soweit das für einen Flugzeugentführer möglich ist, als das reinweiße Unschuldslamm in dieser Branche erscheinen lassen sollte. Nichts, gar nichts Böses habe er in der TWA-Maschine getan, sondern nur die Befehle seines Partners ausgeführt. Er habe vielmehr den Leuten geholfen, ihnen Essen und Trinken gebracht, ihnen auf die Toilette geholfen. Die Idee, Geiseln freizulassen, sei selbstverständlich auch von ihm gewesen. Der eigentlich Gefährliche, der „Chef“, sei der zweite Entführer gewesen. Er sei kleiner Befehlsempfänger gewesen und habe nur dem Befehl seiner religiösen Führer gehorcht. Tote habe er auf keinen Fall gewollt.

Mit diesem Bild vom soften Terroristen kollidieren die Zeugenaussagen. Danach überwachte Hammadi in der Tat die Verteilung von Essen und Wasser - allerdings erst, nachdem die Passagiere bei ausgefallener Klimaanlage viele Stunden lang in großer Hitze Durst gelitten hatten. Sie bekamen einen kleinen Becher Wasser und harte Brötchen - „zu wenig für alle“ - zugeteilt. Er überwachte auch, als die Passagiere, einer nach dem anderen, zum ersten Mal den Waschraum aufsuchen durften - nach 18 Stunden voller Angst, Durst und Hitze, die sie meist in der „Crash-Position“, den Kopf auf den Knien mit darüber verschränkten Händen, verharren mußten. Richter Mückenberger nannte die Situation beim Namen: „Das heißt, daß die sich in die Hosen gemacht haben.“ Der Toilettengang fand bei geöffneter Tür statt, vor der Hammadi mit entsicherter Pistole Wache hielt. Ein Passagier berichtete, er habe eine Frau, die dort weinend zusammenbrach, bedroht und auf arabisch wild beschimpft.

Die Freilassung einiger Passagiere, älterer Frauen und Kinder, bei der ersten Landung in Beirut, die er sich zurechnete, hatte durchaus andere als humanitäre Gründe. Die völlig überladene TWA-Maschine mußte leichter werden, um vor dem Abflug nach Algier genug Treibstoff aufnehmen zu können. Chef-Stewardeß Uli Derickson mußte selektieren. Sie wählte Frauen mit grauen Haaren aus und eine Mutter mit Kind. Hammadi begutachtete die Auswahl und wollte die Mutter des Kindes zurückbehalten. Derickson überredete ihn, die Frau gehen zu lassen. Dafür aber mußte eine der älteren Frauen zurückbleiben.

Hammadi, der sich darüber ausschweigt, wer Carlson und Stethemmißhandelte und letzteren erschoß, brüstete sich mindestens zweimal mit der Pistole, von der er immer noch behauptet, die habe dem anderen Entführer gehört. Einmal sagt er einem Passagier mit Gesten und gebrochenem Englisch, dies sei die Waffe, die „den Ami“ getötet habe. Ein anderes Mal weist er den Bordingenieur bei einem Inspektionsgang um die Maschine auf Blutspuren an der Außentür hin. Das sei das Blut von Stethem, der mit der Waffe, die er in der Hand halte, erschossen worden sei. Bordingenieur Zimmermann: „Er deutete auf die Pistole und sich selbst.“ Dabei sei er „vergnügt“ und „sehr stolz gewesen“. Zimmermann: „Es war so, als ob er wolle, daß ich ihm gratuliere.“

Auch Zimmermann ist, wie etliche Passagiere und ein weiterer Marinetaucher, von den Entführern geprügelt worden. Die Chef-Stewardeß Derickson ist zu Anfang der Entführung schwer getreten worden. Mehrmals wird sie von Hammadi mit der Pistole bedroht. Sie berichtet allerdings auch von dem „anderen“ Hammadi, der sich rührend um eine schwangere Frau gekümmert habe, sie zum Obstessen nötigte, weil das „gut für sie“ sei. Auch Kurt Carlson, der die Tritte und Schläge mit einer Stuhllehne nur knapp überlebte, berichtete von einer gewissen Rührseligkeit Hammadis. Als er ihm in seiner Todesangst durch die Stewardeß sagen ließ, er habe auch eine Frau und eine kleine Tochter, die noch dazu von einem libanesischen Arzt zur Welt gebracht worden sei, habe Hammadi ihn aufgerichtet, ihm die Fesseln abgenommen und ihm Wasser gereicht. Er habe bewegt von seiner Familie berichtet und sich bei ihm entschuldigt.

Die Stewardeß mußte ihm das deutsche Kinderlied „Backe, backe Kuchen“ vorsingen. Sie sang auch die Uralt-Schnulze „Heimatlos“ von Freddy Quinn. Ein anderes Lied, sagte die Frau, die die Bundesrepublik vor 20 Jahren verließ, sei ihr in dem Augenblick nicht eingefallen. Hammadi sei gerührt gewesen und habe gesagt, die Worte paßten sehr gut auf die Situation der Menschen im Libanon. Gleichzeitig spielte er sein Spiel mit der Stewardeß. Immer wieder versicherte er ihr, vor allem wenn sie weinte, sie käme frei, ihr würde als einziger nichts geschehen. Und immer wieder schob er die von ihm versprochene Freilassung auf.

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