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Italiens Parlamentarier an der Leine

Mit sieben Stimmen Mehrheit wurde im italienischen Parlament in geheimer Abstimmung für künftige offene Abstimmung votiert  ■  Aus Rom Werner Raith

Da sage noch einer, daß der kunterbunte Pavillion der Italiener auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse aus der beabsichtigten Selbstdarstellung eine Art Disneyland gemacht habe: die Wirklichkeit ist noch viel bunter, jedenfalls wenn man die abgeschlossene Komödie um die Abschaffung der geheimen Abstimmungen im Parlament betrachtet.

Es ging um die sogenannten „Heckenschützen“, jene Spezies von Abgeordneten aus den Reihen der Koalition, die ihrem Unmut über die Regierungsentscheidungen dadurch Luft machen, daß sie gegen die Vorgaben ihrer Oberen stimmen. Und das sollte nach dem Willen der Fünfer-Allianz aus Christ- und Sozialdemokraten, Sozialisten und Republikanern künftig dadurch ausgeschlossen werden, daß alles nicht mehr wie bisher geheim, sondern offen abgestimmt wird. Mit sieben Stimmen Mehrheit ging der Gesetzesentwurf durch - allerdings in durchlöcherter Form.

Für Ausländer ist schwer verständlich, warum Italiens Abgeordnete offene Abstimmungen für so gefährlich halten, daß manche gar von einem „kleinen Staatsstreich“ sprachen. Aber nirgendwo sonst sind Politiker so unmittelbar von ihren Parteihäuptlingen abhängig wie hier. Wer sicher ins Parlament will, muß in mehreren Wahlkreisen kandidieren und dafür muß sich in jedem Fall die Parteileitung verwenden.

Wird im Parlament offen abgestimmt, befürchten viele Repressionen der Parteileitung, sofern sie sich nicht nach den Maßgaben der Fraktionsspitze verhalten. Doch so leicht wollten sich die bedrohten „Heckenschützen“ ihre einzige Waffe auch nicht entwinden lassen, und da just die Abstimmung über die Aufhebung der geheimen Abstimmung die letzte Geheimabstimmung sein sollte, sah sich der christdemokratische Regierungschef de Mita zu geradezu halsbrecherischen Verrenkungen gezwungen: seinem sozialistischen Koalitionspartner Bettino Craxi, der bald wieder Regierungschef werden und vorher die „Heckenschützen“ loshaben will, hatte er ausdrücklich seinen Rücktritt versprechen müssen, wenn die Sache nicht läuft. So geriet die Aktion „Offenes Votum“ zur Farce. Volle sechs Mal mußte die Regierung ihren Gesetzestext (offene Abstimmung in allen Fällen) modifizieren, bis die notwendige absolute Mehrheit von 316 Stimmen sicher war: zuerst wurden Personal- und Freiheitsrechtsfragen wieder unter „geheim“ aufgelistet, dann kamen auf Wunsch von de Mitas Parteiflügel Verfassungsänderungen dazu, danach bestanden die Leute um seinen parteiinternen Konkurrenten, Außenminister Andreotti, auch noch auf Fragen des Familienrechts. Schließlich gestand man nach Forderung der Opposition auch noch Geheimabstimmungen in Fragen der Menschenwürde, des Personenrechts, der Staatsorgane und der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen zu. Trotzdem votierten 58 „Heckenschützen“ - die Opposition blieb der Abstimmung fern

-gegen den endgültigen Text. Mit 323 Stimmen wurde die Kompromißvorlage verabschiedet.

Andreotti reiste danach augenzwinkernd nach Moskau ab: „Damit kann man leben.“ Da hat er angesichts der vielen Möglichkeiten, auch künftig geheim abzustimmen, wohl recht. Seine Leute gelten als die zielsichersten Heckenschützen des Landes.

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