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Starke Esser im Polizeicomputer

■ „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ im Haus der Bürgerschaft: Bremer Rechtsanwalt Rolf Gössner stellt neues Buch vor / Grüner Martin Thomas: Terrorismusbekämpfung und Spionageabwehr „notwendige Funktionen“ der Nachrichtendienste

„Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat auffordert“, wird bestraft, droht der Paragraph 111 des Strafgesetzbuches. „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ ist der Abschnitt überschrieben, in dem Justitia mit den mutmaßlichen Gegnern des Staates abrechnet.

„Widerstand gegen die Staatsgewalt“ heißt auch das neue Buch

von Rolf Gössner. Der Bremer Rechtsanwalt: „Das Buch will öffentlich aufstacheln zum kollektiven Widerstand gegen eine verhängnisvolle Entwicklung der Politik der Inneren Sicherheit, auffordern zur politischen Opposition, zum zivilen Ungehorsam gegen die sogenannten Sicherheits- und Anti-Terror-Gesetze.“

Kräftige Worte. Sie klingen ein bißchen wie eine Botschaft aus jenen 70er Jahren, als der „Kampf

gegen den bürgerlichen Staatsapparat“ noch unmittelbare Tageslosung war. Gössner selber vermutet, seine neue Veröffentlichung sei möglicherweise ein „unzeitgemäßes Buch“, das quer liegt zum zeitgeistigen Rückzug ins Private. „Was können wir da überhaupt noch machen?“ war Rolf Gössner auf Veranstaltungen über seine früheren „Enthüllungsbücher“ häufig resigniert entgegengehalten worden. Der Widerstand gegen neue „Sicherheitsgesetze“ heutzutage ist gering. Die Schläffe der linken Opposition gegen zunehmende Staats -Gewalt erklärt sich Gössner unter anderem mit Informationsdefiziten. Solcher Unkenntnis soll Gössners neues „Handbuch zur Verteidigung der Bürgerrechte“ abhelfen.

Der Bremer Rechtsanwalt hat neues Material aus dem „Alltag des Überwachungsstaates“ zusammengetragen: Über das „nachrichtendienstliche Informationssystem“ (NADIS) etwa hat er unbekannte Details recherchiert. NADIS ist eine gemeinsame Datenbank aller einschlägigen bundesdeutschen Geheim

dienste. Die Daten von 9 Millionen BürgerInnen sollen bei NADIS gespeichert sein.

Darüber hinaus füttern die Staatsschützer ihre Computer mit Daten für Sonderkarteien. 16.000 Namen von Aktivisten der „Neuen Linken“ etwa enthält die Spezialdatei P 2. Auch wenn viele dieser Gruppen heute längst Legende sind: die Namen der damaligen Aktiven bleiben gespeichert. Nicht nur politische Aktionen wurden dokumentiert. Auch persönlichste Merkmale sind den Staatsschützern einen - verschlüsselten Eintrag wert. Das Kürzel H 11 zum Beispiel entlarvt den Verdächtigen als „ungepflegt“, H 10 als „gepflegt“. H 13 heißt „auffällig gekleidet“, H 35 „erzählt Witze“. H 40 verrät den „starken Esser“, H 70 ist „triebhaft“, H 71 vermutlich „lesbisch“. Auf diese Weise entstehen in geheimen Dateien Persönlichkeitsprofile, auf die die Polizei bei Fahndungen oder beim Anwerben von Spitzeln beliebig zurückgreifen kann.

Zum wirklichen Handbuch aber macht die neue Veröffentlichung der Teil III „Ratschläge zur

Gegenwehr“. Vor allem der Abschnitt über „Rechts- und Verhaltenstips im Umgang mit den Staatsgewalten“ ist lesenswert: Was tun bei einer Hausdurchsuchung? Wie sich wehren bei einer Erkennungsdienstlichen Behandlung? Leider trübt bisweilen die steife Juristen-Sprache („im Weigerungsfalle“ etc.) das Lektüre-Vergnügen.

Der Grüne Abgeordnete Martin Thomas, der „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ mit sicherem Gespür für das Ambiente im Haus der Bürgerschaft gemeinsam mit Gössner vorstellte, wertete den „Extremismus der Staatsmacht“ als „existentielle Frage“ auch für die Grünen. Wenn es gelänge, den außerparlamentarischen Protest an die Kette zu legen, seien auch die parlamentarischen Aktivitäten der Grünen zum Scheitern verurteilt. Thomas forderte nach dem Vorbild der Datenschutzbeauftragten eine Beschwerdestelle, bei der BürgerInnen gegen Übergriffe der Staatsmacht protestieren können und die Vorfälle überprüft werden. Darüber hinaus müßten Bremens PolizistInnen endlich Na

mensschilder bekommen. Gössners Forderung nach einer Abschaffung der Geheimdienste mochte sich Thomas nicht anschließen. Der Abgeordnete, der für die Grünen in einer „Parlamentarischen Kontrollkommission“ auf den Bremer Verfassungschutz aufpassen soll, will eine „Reduzierung auf die notwendige Funktion“. „Terrorismus-Bekämpfung“ und Spionage-Abwehr hält Thomas für legitime Aufgaben eines Geheimdienstes, nicht dagegen die „Bespitzelung demokratischer Organisationen“.

Rolf Gössner machte am Ende deutlich, wann sich - bei allem Mißtrauen gegen die Staatsmacht - ein wortreicher Widerstand gegen das Gemeine Wesen nicht lohne. Zum Beispiel bei Verkehrskontrollen, wenn die uniformierten Grünen die Kfz -Papiere sehen wollen: „Hier empfiehlt sich brave Befolgung.„

Alles in allem: „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ ist für 28 Märker - eine Pflichtlektüre für potentielle Opfer der Staatsgewalt, und das sind wir schließlich alle.

Günter Beyer

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