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ZIMMER OHNE AUSSICHT

■ Alltag eines Zimmermädchens

Hotel sucht Zimmermädchen, fest oder zur Aushilfe.„ Wär‘ doch was, wenn ich mir da schon kein Zimmer leisten kann!

„Am Dienstag um 8 Uhr können Sie anfangen, im schwarzen Rock und weißer Bluse.“ Bei DM 8,50 Stundenlohn schlucke ich kurz.

Ich bin pünktlich. Der Rock war eigentlich für andere Gelegenheiten vorgesehen. Die „Festen“ frühstücken im Personalraum. Ihre weißen Rüschenschürzen sind nicht mehr ganz makellos, aber sie haben seit 6 Uhr schon Bar, Halle und Sauna hinter sich. Adrett in Rot sitzt die Hausdame unglücklich vor ihren Diätbackpflaumen und verteilt die Arbeit. 39 Zimmer sind zu putzen. Christa muß mich einarbeiten. Zwei Etagen oder 12 Zimmer lang. Die Wäsche ist im Keller. Ein weißer Kittel auch. 15 mal Bettwäsche, Handtücher, Waschlappen und Putztücher stopfen wir in die Wäschesäcke und schleifen sie zum Aufzug. Im Office wird einsortiert. 'Office‘, das ist die stickige Abstellkammer auf jeder Etage. Hier ist Platz für den Wäschewagen, den Staubsauger und drei Kleiderhaken.

Um 9 Uhr hängen schon acht Schlüssel an der Rezeption. Das erste Bett. Die Wäsche in den Wäschesack, Laken, Bezug, Kissen, Fritzchen und Bettvorlage. Das Laken mit Eckfalte, die Decke ohne Knick, Kissen und Fritzchen richtig plaziert und darüber die Tagesdecke. Auf den polierten Nachttischen lohnt sich das Staubwischen.

„Das Telefon muß immer parallel zur Bettkante stehen, sonst klinkt die Hausdame aus“, ein gut gemeinter Tip von der Kollegin.

Es gibt echte Bücher in Leder, hohe Bretter und niedrige Fußleisten. Staubfänger.

Der Kleiderschrank stinkt nach Kölnisch Wasser, und die Kleiderbügel hängen durcheinander. Das darf nicht so bleiben. Alle Haken in eine Richtung, Rockbügel links, Anzugbügel rechts. 250 Mark pro Nacht informiert eine kleine Tafel an der Schranktüre. Was dafür geboten wird? Ein Schreibtisch: Blumenväschen mit Trockenstrauß auf Untersetzer und Beschwerdezettel. Hotelmappe mit Briefpapier und Umschlägen, zwei lobende Zeitungsartikel in eigener Sache, ein Hausprospekt sowie Informationen zu Telefon und Radio. Obenauf ein Heftchen, garniert mit Kugelschreiber in rechtem Winkel. Daneben Porzellanaschenbecher mit Streichholzschachtel auf Untersetzer und Lampe hinter Kärtchen der Hotelbar. Ich kämpfe noch um Ordnung, da ist Christa mit dem Bad schon fertig. Sie hilft mir mit Routine, und nach dem dritten Zimmer kenne ich die meisten Kniffe.

Also tauschen wir. Nur ein kleines Schild in der Schrankwand aus Vogelaugenahorn verrät dem Gast, wo es denn langgeht, wenn er mal muß. Feuchte Handtücher liegen herum, die Seife klebt im Aschenbecher, das Duschgeltütchen liegt ausgequetscht in der Seifenschale. Zartgelbe Flecken schmücken die Klobrille, die dunkleren liegen etwas tiefer. Haare, Haare, Haare in der Wanne. Der schöne Marmorwaschtisch ist schnell geputzt. Der große Spiegel macht schon mehr Schwierigkeiten. Hinter den Armaturen verrenke ich mir fast die Finger, und die Putzstreifen bleiben hartnäckig. Die Kräne ohne Fleck, die Wanne auch. „Da mußt du noch mal hin. Der Stöpsel hat noch einen Tropfen.“ Bloß nicht an die Dusche stoßen, sonst fange ich von vorne an. Das Klopapier falten wie eine Serviette und den Chromhalter blank wie den Spiegel. Dann erst die Ausstattung: Ein großes und ein kleines Flauschhandtuch, „Nein, sie müssen so hängen.“ - Waschlappen, Nagelfeile, Duschgel, Seife, Duschhaube, Zahnbecher auf Untersetzer. In den Aschenbecher hier ein Nähetui, darunter das Schutzputztuch.

„Die Duschhaube steht vor dem Zahnputzbecher, damit sie sich anlehnen kann“, belehrt mich die Hausdame bei der Inspektion. Ein Geschicklichkeitsspiel, denn der Becher rutscht weg. Ein paar Tage braucht es, bis die Handgriffe sitzen. „Ruth, kommen Sie mal her!“ tönt es schrill aus dem Nebenzimmer. „Der Spiegel hat noch Flecken, aber nur wenn Sie in die Dusche klettern und um die Ecke gucken ...“ Würde mich jetzt auch gerne anlehnen, wie die Duschhaube, aber solche Ecken kenne ich bald. Kräne und Spiegel verlangen volle Aufmerksamkeit, lerne ich und putze brav die entlegensten Regalbretter, die mit Vorliebe kontrolliert werden. Christa und Hanne sind zwar noch immer doppelt so schnell, aber meine Beine nur noch halb so schwer.

So rücken die kleinen Abwechslungen mehr in den Vordergrund. „Wo hat denn Zimmer 36 heute geschlafen?“ „Gestern habe ich in 35 eine Strumpfhose gefunden, die trägt er bestimmt nicht.“ Das ist kein bloßer Tratsch, merke ich, denn für die Zimmermädchen heißt der nächtliche Besuch meist: ein Bett mehr beziehen. Unbenutzte Badewannen sind dagegen gern gesehen. Die sparen Zeit für die heimliche Zigarette im Treppenhaus.

In Zimmer 26 fehlt die Blume aus der Silberschale. Vielleicht geht der Herr mit den kleinen Füßen jetzt gut gelaunt durch die Stadt - eine Nelke im Knopfloch. Bald verlangen nur noch die besonderen Gäste besondere Aufmerksamkeit. Die VIPs. Für Pralines und Früchte sorgt die Hausdame, wir kümmern uns um Daunenkissen für die Dauer -VIPs.

„Das Zimmer muß tip-top sein, denn der Gast ist ein Arschloch.“ Das sind nicht alle, doch jedes Bad wird zur Sahnetorte. Ein weißer Bademantel, das Hotelsignet auf der Brusttasche, Rasierset, Mundpflegeset, Jet-set. Sechs Plastikdöschen ergänzen das Übliche. Das Radio läuft, das Licht brennt, denn der Gast soll sich zu Hause fühlen, sobald er das Zimmer betritt. Der Gast ist immer ER. Pro Tag stehen nur zwei bis drei Frauen auf der Gästeliste.

Am vierten Tag hinterläßt ein Herr aus Japan zwei Mark auf dem Kopfkissen. Eine erfreuliche Abwechslung. Namhafte Gäste dagegen verzichten meist auf Popularitätszuwachs durch Trinkgelder. Die Bilanz nach zwölf Arbeitstagen: 5 Mark, 5 Pesos, 1 Penny.

Weniger beflügelnd wirken abgestandenes Badewasser und verstreuter Abfall auf dem Teppichboden. „Suite mit zwei Bädern 350,-.“ Von den „billigeren“ Gästen scheint man auch wenig Gutes gewohnt zu sein. Kündigen sich Reisegruppen an, wird es leer im Zimmer. „Jeder Raum anders, und jeder der beste!“ heißt es eitel im Hausprospekt. Porzellanaschenbecher, Schreibmappe, Fritzchen und Tagesdecke verschwinden im Office, Duschgel und Betthupferl sind nicht für Pauschaltouristen. Fehlt sonst ein Badetuch, wird schon mal ein Auge zugedrückt.

Genossen hat sich jedenfalls das Paar auf Zimmer 24. Bad und Handtücher sind ausgiebig benutzt, Parfümflacons und Cremedöschen stehen liebevoll geordnet auf dem Waschtisch. Macht nichts, daß ich alles zur Seite räumen muß.

Die wöchentliche Lohnabrechnung wird zur Audienz. „Jetzt können Sie runtergehen“, rät die Hausdame. Herr Direktor thront hinter seinem Schreibtisch. Die Fische blubbern gelangweilt, und es scheint eine Ehre zu sein, daß ich mich nach kargem Gruß im noblen Sessel freischwingen darf.

Wortlos stellt er den Scheck aus und bittet um Quittierung. 23 Stunden, 195,50 Mark und aufgesprungene Hände.

Ruth Schulz

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