: „Ich bin die Geisel“ - „Ja und?“
■ Dokumentation eines Telefonats zwischen Bremer Polizei, Geisel und Geiselnehmer kurz bevor der Bus gekapert wurde / Polizist zu Rösner: „Sie sind ganz schön clever“ / Innensenator Bernd Meyer stand neben dem verhandelnden Polizisten
25 Seiten dick ist das Protokoll eines Gesprächs, das eine der Gladbecker Geiseln mit der Bremer Polizei führte. Es beginnt um 18.16 Uhr und endet um 18.47 Uhr, 20 Minuten bevor der Bremer Linienbus gekapert wurde. In das Gespräch, das aus einem türkischen Gemüseladen in Huckelriede geführt wurde, schaltet sich für fünf Minuten auch Geiselnehmer Rösner ein. Bremens Innensenator Bernd Meyer war in der Einsatzzentrale der Polizei Ohrenzeuge des denkwürdigen Dialogs. Wir dokumentieren Auszüge.
Sprecher: Polizeinotruf.
Geisel: Ja. Ich bin der Kassierer von der Bank, hören Sie, was machen Sie für 'nen Mist?
Sprecher: Welcher Kassierer, von welcher Bank?
Geisel: Von der Deutschen Bank, die überfallen wurde.
Sprecher: Ja und?
Geisel: Ja, wir werden ständig verfolgt hier. Die wollen uns gleich abknallen. Wir wären
schon zwei bis dreimal frei gewesen. Da ist immer was dazwischen gekommen. (...)
So kommen wir nie frei, die werden nämlich wieder nervös. Die ganze Zeit, wo Sie nicht hinter uns her waren, waren die total ruhig gewesen, das wäre fast gelaufen. (...)
Sprecher: Ja.
Geisel: Aber die knallen uns gleich ab hier, weil die (Polizei, d. Red.) uns ständig bedrängen, was sollen wir denn noch machen, Kerl? Sagen Sie durchs Radio, (...), daß uns keiner verfolgt und überall stehen 'se. Die fahren am Busbahnhof vorbei, zack kommen 'se rausgelaufen. (...) Was soll denn das überhaupt? Was ist Ihnen, unser Leben, ist Ihnen das was wert, oder was?
Sprecher: Ich werd‘ das sofort an die Führung weitergeben.
Geisel: Ja, wie an die Führung weitergeben? Daß die uns hier abknallen können, oder was und daß die uns weiter verfolgen? Was geben Sie denn weiter? (..) und hier
die Kollegin Blecker (die andere Geisel, d.Red.), die hat schon 'nen Nervenzusammenbruch, die kann schon nicht mehr richtig atmen, hören Sie mal. Ihr Mann hat gesagt, daß sich der Innenminister darum kümmern wollte, daß ihr nichts passiert. Ja.
Was soll ich denn noch machen, Kerl? Wir hatten die Chance, zwei bis dreimal, immer wieder was dazwischen, weil Sie nicht Wort gehalten haben. (...) Ja hören Sie mal, die Gangster wissen wirklich selbst nicht mehr, was sie machen sollen. Die wollten uns wirklich soweit entgegen kommen, daß wir den Mercedes haben konnten, und die wären mit dem anderen Wagen abgehauen. Wir wären fast frei gewesen. Aber nein, nein, was haben Sie gemacht? Sie haben nicht Wort gehalten. Was denken Sie. (...) Hinterher hat meine Frau noch 'ne Fehlgeburt und mich knallen sie noch ab.
Sprecher: Ja.
Geisel: Ja, ja, was soll ich dazu sagen jetzt, neh?
Sprecher: Ja.
Geisel: Ja, was machen Sie denn jetzt?
Sprecher: Ja, nee, ich bin...
Geisel: Wer sind Sie denn überhaupt?
Sprecher: Ich bin Notrufsprecher hier...
Geisel: Ja.
Sprecher: Ich kann das den entsprechenden Leuten ja sagen.
Geisel: Wissen Sie was, dann verbinden Sie mich mit denen.
Sprecher: Ja, mach ich, bleiben Sie dran. Nicht auflegen, ich verbinde... Pause
Geisel: Hallo?
Stimme: Wer ist da?
Geisel: Ja, Alles. Ich bin der Kassierer von der Deutschen Bank in Gladbeck.
Stimme: Ja.
Geisel: Ich wollte Ihnen nur sagen, was soll das, diese Verfolgerei?
Stimme: Welche Verfolgerei?
Geisel: Ja, welche Verfolgerei? (Geisel erzählt noch einmal ausführlich, wo die Polizei die Geiselnehmer verfolgt hat, d.Red.)
Steinwald (Polizei): Steht der Täter neben Ihnen, Herr Alles?
Geisel: Wie bitte?
Steinwald: Steht der Täter neben Ihnen?
Geisel: Ja sicher steht der neben mir!
Steinwald: mmmmmh. (...)
Geisel: Hören Sie mal, die machen das nicht mehr lange mit hier. Die knallen uns ab. Die (Polizei, d. Red.) fahren wie die Idioten durch die Straße.
Steinwald: mmmmh, Herr Alles und jetzt, was machen wir jetzt?
Geisel: Ja, was machen wir jetzt?
Verfolgen Sie uns bitte nicht! Vielleicht haben wir die Gelegenheit, daß die sich beruhigen. (...)
Steinwald: Ich kann das hier nicht entscheiden jetzt, daß die Polizeikräfte ab...
Geisel: Ich bleib hier in der Leitung drin und ich geh‘ nicht von der Stelle, bis Sie mir sofort was sagen.
Ja bleiben Sie drin, o.k. Pause
KNALL (Schuß?)
Steinwald: Herr Alles?
Geisel:Ja?
Steinwald: Herr Alles, ich muß Sie verbinden jetzt mit einem Verantwortlichen, der Ihnen das mög...
... die ganze Geschichte noch mal erzählen? (...)
Pause (...)
Geisel: Ich will Ihnen mal eins sagen, die Lage begann für uns gestern ziemlich miserabel. Die Täter waren total brutal. Und als wir im Wagen waren, hat sich die ganze Situation entspannt. Und je weniger die Polizei ...(unverständlich) ...entspannter wurde die Lage. (...) Aber als jetzt ihre Polizisten wieder auftauchten, ist die Situation wieder wie am ersten Tag, (...) Die drehen nämlich durch, wissen Sie das?
Steinwald: Die drehen durch, meinen Sie, mit der Zeit?
Geisel: Selbstverständlich nicht mit der Zeit, die sind jetzt schon dran. (...)
Steinwald: Glauben Sie den Tä
tern denn, daß sie freigelassen dann werden?
Geisel: Was? Ich glaube den Tätern, ich glaube denen schon mal mehr als der Polizei, ja ganz bestimmt. (...)
Steinwald: Sie stehen jetzt hier im Laden irgendwo?
Geisel: Ja sicher, ich stehe hier im Laden, weil ich telefonieren wollte. Weil die uns wie die Hengste durch die Straßen gejagt haben. Ich dachte, ich krepier. (...)
Geisel: Kerl, das kann doch egal sein, wann Sie die kriegen, Sie wissen doch, wer das ist. Die können Sie doch morgen oder in einer Woche jagen. Das muß doch nicht jetzt entschieden werden, oder?
Steinwald: Das muß nicht heute entschieden werden, nee.
Geisel: Na also, und die Kohle ist doch auch unwichtig. Die Bank hat doch genug Geld und ist versichert und alles.
Steinwald: Ja sicher, natürlich nicht.
Geisel: Was ist denn nun der Grund, daß sie jetzt so ein Theater veranstalten?
Steinwald: Wir wollten...
Geisel hakt noch einmal nach, doch bevor Steinwald eine Begründung für das Verhalten der Polizei geben kann, unterbricht eine andere Stimme aus der Einsatzleitung den Dialog. Dann Pause und Pfeiftöne, das Gespräch ist unterbrochen. Geisel ruft noch einmal an. Wieder Dialog Steinwald - Geisel
über Möglichkeiten, die andere Geisel auszutauschen. 18.38 schaltet sich Rösner ein.
Steinwald: Sie sind bewaffnet wahrscheinlich?
Rösner: Wer?
Steinwald: Sie
Rösner: Ja, nicht zu knapp...
Steinwald: Ja, was haben Sie denn?
Rösner: Das kann ich nicht sagen.
Steinwald: Ach so, aber ich meine, Sie haben doch ausreichend Waffen da.
Rösner: Zum Beispiel hab ich nem Polizisten in Gladbeck da an der Esso-Tankstelle ne Waffe gezogen und weggenommen mit einem Ersatzmagazin.
Steinwald: Dem Polizisten haben Sie die Waffe weggenommen?
Rösner: Ja. Das Funkgerät hab‘ ich auch mitgenommen.
Steinwald: Ach, das Funkgerät haben Sie auch mitgenommen? Mensch Sie sind ja ganz schön clever, finde ich.
Rösner: Aber ihr nicht.
Steinwald: Äh, nee, stimmt.
Rösner ist schließlich einverstanden, eine der Geiseln auszutauschen, will aber noch einmal mit seinem Komplizen sprechen. Zum Schluß bittet die Geisel noch einmal, um eine „Chance, daß wir das Überleben“.
Geisel: Bitte, bitte, bitte, verfolgen Sie uns nicht mehr. Bitte.
Steinwald: Alles klar, aber sorgen Sie dafür, daß er (Rösner, d.Red.) nochmal anruft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen