: Laufen im Stand und die Hüfte hoch
■ Mannequin- und Dressman-Ausbildung in Berlin / Ein Alternativ-Institut will mit den Bauernfängern im Metier Schluß machen
Von Susanne Erickson, der ersten Miss Germany nach dem Krieg, will ich endlich wissen, wie man durch gutes Aussehen die Kollektionen von Karl Lagerfeld auf dem Laufsteg präsentieren darf. Sie wurde damals noch original auf der Straße entdeckt und gibt heute in ihrem Studio im Grunewalder Zikadenweg das an „ihre Mädchen“ weiter, was sie in ihrer Karriere in Paris, New York und Berlin erlebt und erfahren hat. Nach 16 Jahren Wespentaille wollte sie „endlich wie ein normaler Mensch leben“, erzählt sie mit lieblich singender Stimme und gründete 1968 ihre Schule für Mannequins und Fotomodelle.
Aber gar nicht alle Mädchen wollen so hoch hinaus. Einige möchten für DM 1.900,- in 30 Stunden einfach nur souveräner und selbstsicherer gehen lernen, andere wollen tatsächlich dem Geheimnis der richtig vorgestreckten Hüftknochen auf den Grund gehen, um danach die Haute Couture an sich aufzuhängen. Aber Naturbegabungen sind relativ selten, denn eine gewisse Grundlage oder Technik muß schon sein. Bei einem Fotomodell, das nur vor der Kamera posiert, heißt das: Bewegung im Stand, Hüfte richtig hochziehen, Bewegung vortäuschen, Laufen im Stand, drehen, damit der Rock hochfliegt. Aber: Es gibt unfotogene Mannequins und unbewegliche Fotomodelle. „Wenn Sie ein Fotomodell abgeschminkt sehen, möchten Sie die am liebsten gleich in die Mülltonne stecken“, schaudert Bernd Thiele, Mode- und Werbefotograf, der seit vier Jahren mit Susanne Erickson zusammenarbeitet. Doch selbst dagegen gibt's ein Medikament. Stichwort Make-up. Das ganze Gesicht kann damit retuschiert werden, und nach einer guten Stunde sehen Schlitzaugen größer und breite Nasen schmaler aus. Spontan kommt es aus beiden Mündern: „Man muß seine Fehler kennen und wissen, wie man sie wegkriegt.“ Und: Ein Mannequin muß nicht unbedingt schön sein, sie muß interessant und modisch wirken. Wer allerdings gar keinen Stil hat oder wem das Gardemaß von 170 cm aufwärts von der Natur nicht geschenkt wurde, kann sein Geld wieder mit nach Hause nehmen.
Nicht nur Frau Erickson will den Mädchen zum Traumjob verhelfen. Auch Anita Nüsske war mal „internationales Top-Model“ für Vogue France, Madame, Constanze u.a., wie es ihre Broschüre biographiert. Sie garantiert ihren Lehrlingen, wie alle anderen Schulen auch, am Ende einen Diplomabschluß - aber wofür? Mannequin ist kein staatlich anerkannter Beruf. In der Schöneberger Hauptstraße bietet das Model- und Personality-Studio ein 46-stündiges Gesamtseminar für 2.450,- (Preise vom 31.1.87, und die ändern sich ständig) an. Darin sind enthalten: Make up- und Hairstyling, Hautpflege, Mimik, Sprecherziehung, Laufstegschulung, Choreographie und Fotoposing. Helmut Lang und Peter Bloch, die „Stuidio„-Leiter, sind die Männer auf dem Berliner Markt, die wissen, wie man einen Wendemantel präsentiert, graziös über den Laufsteg schlendert oder sich gekonnt mit dem Rücken an die Wand postiert.
Was nach einer Ausbildung kommt, weiß keiner. Die Schule hat keine weiteren Verpflichtungen - „school's out“. Die „Models“ müssen dann meistens weitere 400,- bis 800,- in Porträts- und Ganzkörperfotos investieren, und wenn sie Glück haben, finden sie ein gutes Fotostudio. Mit der Mappe unterm Arm schreiten sie dann zum Künstlerdienst des Arbeitsamtes (die einzige Vermittlungsagentur in Berlin) und warten auf einen Auftritt.
Beim Künstlerdienst am Kudamm lachen und stieren mich vor einem Regal hunderte von Gesichtern auf sogenannten „Sed -Cards“ an. Diese visuellen Foto-Visitenkarten zeigen die Mannequins und Dressmen in verschiedenen Posen und Kleidern und informieren über die Maße, wie Brust-, Taillen- und Hüftumfang, Körper- und Schuhgröße usw. Ein Kunde braucht eigentlich nur noch zuzugreifen, aber kaum jemand läßt sich für alles krallen. Frau Mählmann, die Sachbearbeiterin im Modelbereich, wimmelt einen Nürnberger Auftraggeber am Telefon gleich ab. Ein Model für ein neues Mammographiegerät wird er auch in Berlin nicht finden.
Überhaupt: Den Traum von einer Superkarriere haben sich die meisten Frauen und Männer sowieso abgeschminkt. Vorwiegend sind es StudentInnen und „Haus„-Frauen, die mal schnell Geld verdienen wollen. Sofern sie nach Einschätzung von Frau Mählmann Chancen haben, werden sie dann in die Kartei einsortiert. Bei einer Boutique-Modenschau springen dann schon mal DM 350,- raus, bei größeren, wie z.B. im KaDeWe, ab DM 500,- aufwärts. Aber für mich 1,66m-Brünette wird der Arbeitsplatz weiter der Schreibtisch bleiben.
Einen Hoffnungsschimmer gibt mir zuguterletzt eine Anzeige in der taz vom „alternativen“ Mannequin- und Dressman -Ausbildungs-Institut „Synthese“. Ein neugegründetes Team im Kollektivverfahren (ca. 15 Mitarbeiter) will endlich aufräumen mit den Nepperschleppern im Metier. Viel zu viele Schulen bilden nur unzureichend oder sogar Untalentierte aus und geben den Absolventen keine Chance zur praktischen Erfahrung. Mit zwei parallel laufenden Kursen, die gestern begannen, sollen die jeweils sechs SchülerInnen mit weiteren Informationen bereichert werden. So kann man z.B. mit bestimmten Farben den Auftraggeber bei einem Termin unterbewußt von sich „überzeugen“. Meditations- und gruppendynamische Übungen sollen helfen, innere Ruhe in diesem hektischen Beruf zu finden. Mit privaten Kontakten zu Mode-Designern und Boutiquen sollen Modenschauen während des Kurses organisiert werden. Und Intelligenz wird auch erwartet - um mit diesem alten Vorurteil endlich aufzuräumen. Jeder Bewerber, der in die engere Wahl kommt, muß erst mal über einem Fragebogen schlaue Antworten ausbrüten. Während der 12 Unterrichtswochen sind drei Zwischenprüfungen zu durchstehen usw., usw. Moment, Moment, sage ich, das kann ich doch gar nicht alles unterbringen, was ihr euch da vorgenommen habt. „Dann mach‘ den Kurs doch mit. Exklusiv für die taz“, sagt Marvin von „Synthese“. Mach ich.
Connie Kolb
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