: Nylon wird 50
■ Mit der LAUFMASCHE auf Du und Du
New York (dpa) - Den Deutschen, die die Wunderfaser wegen des Krieges praktisch noch nicht kennengelernt hatten, wurde sie 1945 zu einem Synonym für den Reichtum und die Wunder der Besatzungsmacht: Nylons, das war wie Kaugummi - ein begehrenswertes Stück Amerika. Das durchsichtige schimmernde Gespinst, das Frauenbeine so trefflich kleidete, wurde in Nachkriegsdeutschland, was es in den USA schon seit Jahren war, ein zunächst luxuriöses, dann aber immer billiger werdendes Attribut eleganter Weiblichkeit.
In dieser Woche feiern die Amerikaner den 50.Geburtstag des Nylons, obwohl die Polyamidfaser schon 1932 erfunden worden war und die Produktion von Nylonstrümpfen in großem Maßstab erst 1940 anlief. Am 19.Oktober 1938 aber kündigte die Firma Du Pont Co. in Wilmington an, daß sie demnächst in der Stadt Seaford (beides US-Bundesstaat Delaware) ein Werk für die Produktion von Nylon, der ersten völlig aus Chemikalien hergestellten Faser, eröffnen werde. Entdeckt hatten das Kunststoffgespinst die beiden Wissenschaftler Wallace Carothers und Julian Hill. 1932 mixten sie sogenannte Polymere, bis sie eine Verbindung hatten, deren Kettenmoleküle sich schier endlos strecken ließen und dabei einen hauchdünnen Faden von hoher Reißfestigkeit ergaben.
Es dauerte noch sechs Jahre und kostete die Firma Du Pont 27Millionen Dollar, bis die Faser, die den Markennamen Nylon erhielt, zur Produktionsreife entwickelt war. Der unter Anfällen von Depression leidende Carothers sollte den Triumphzug des Nylons um die Welt nicht mehr erleben: Er beging 1937 in einem Hotel in Philadelphia mit einer Dosis Zyankali Selbstmord. Hill dagegen, heute 84, lebt noch in Delaware. Die ersten Nylons wurden an Du Pont-Mitarbeiter und später an die Bewohner von Wilmington verkauft. Erst im Mai 1940 begann der Vertrieb in den USA.
Schon bald erfreuten sich die hauchdünnen, seidig schimmernden Strümpfe großer Beliebtheit, denn zuvor mußten modebewußte Frauen, wenn sie sich keine teuren Seidenstrümpfe leisten konnten, mit vergleichsweise groben Gebilden aus Baumwolle oder der Viskosefaser Rayon vorlieb nehmen. Allerdings stellte sich auch rasch heraus, daß die neuen Strümpfe einen fatalen Nachteil hatten: mit den Nylons kam auch die Laufmasche in die Welt, die heute noch Frauen zur Verzweiflung treiben kann.
Der Krieg unterbrach die Produktion die Strumpfproduktion. Nylon wurde zum kriegswichtigen Material erklärt und zu Fallschirmen, Seilen und Autoreifen verarbeitet. Nach dem Kriege wurde das Nylon wieder zivil und zu einer Vielzahl von Produkten versponnen. Während sich der künstliche Stoff bei Strümpfen behauptete, spielte er bei der Produktion von Hemden, die nicht gerade hautfreundlich waren, eine eher unrühmliche Rolle. Zugleich nahm die konkurrenz durch andere Kunst-Gespinste zu.
Die Fabrik in Seaford ist immer noch die größte Produktionsstätte für Nylonfasern. 227.000 Tonnen werden jährlich hergestellt, das sind etwa fünf Prozent der weltweiten Produktion. Das meiste Nylon geht heute in die Produktion von Bodenbelägen.
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