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Hausarrest für Türken bei Evren-Besuch

■ Türkische Bürger dürfen München während des Besuchs des Türkischen Staatspräsidenten nicht betreten / Anweisung des Bayerischen Innenministeriums / Eine Entscheidung über die EG-Mitgliedschaft der Türkei steht noch nicht an / Heftige Proteste gegen Evren

München (dpa/taz) - Eine unbekannte Zahl von Türken darf während des Besuches des türkischen Staatspräsidenten Kenan Evren am Donnerstag und Freitag dieser Woche in München die Landeshauptstadt nicht betreten. Das bayerische Innenministerium wies eine unbekannte Zahl von Türken an, in den kommenden Tagen ihren Wohnort nicht zu verlassen und sich täglich mehrmals bei der Polizei zu melden. Die Grünen im Landtag sprachen gestern von einem „Riesenskandal“.

In den Schreiben, die den Türken von ihrer Ausländerbehörde zugestellt wurden, heißt es nach Angaben der Grünen wörtlich: „Herr/Frau X darf vom 19.10.88, 12.00 Uhr, bis zum 22.10. 1988, 12.00 Uhr, das Gebiet der Landeshauptstadt nicht betreten. In diesem Zeitraum hat er sich im Stadtgebiet XY aufzuhalten. Herr/Frau X hat sich am 19.10. um 18.00 Uhr, 20.10. um 10.00 Uhr und 16.00 Uhr und 18.00 Uhr und am 21.10. um 10.00 Uhr, 14.00 Uhr und 18.00 Uhr bei der Polizeiinspektion XY unter Vorlage seines/ihres türkischen Nationalpasses persönlich zu melden.“

Mit diesem Erlaß, so kritisierten die Grünen, würden türkische Bürger „unter Hausarrest gestellt“. Dagegen wies der Ministeriumssprecher darauf hin, daß das Ausländerrecht diese Möglichkeit biete.

Deutlich distanziert hat die Bundesregierung gestern auf die Erwartung ihres türkischen Staatsgastes nach einem baldigen EG-Beitritt der Türkei reagiert. Bundeskanzler Kohl betonte gegenüber Evren, die Bundesregierung könne einem Votum der EG-Kommission und der Entscheidung des EG -Ministerrates nicht vorgreifen. Da die Verhandlungen mit Spanien und Portugal über acht Jahre in Anspruch genommen haben, sei auch im positiven Fall nicht vor dem Jahr 2000 mit einer Entscheidung zu rechnen.

Neben den ökonomischen Problemen eines EG-Beitritts wird vor allem im europäischen Parlament nach wie vor auf die mangelnde demokratische Verfassung und die andauernden Menschenrechtsverletzungen in der Türkei verwiesen. „Amnesty international“ hat gestern noch einmal ausdrücklich darauf verwiesen, daß in der Türkei nach wie vor systematisch gefoltert wird.

Weizsäcker und Kohl hatten die demokratische Entwicklung unter Evren ausdrücklich gelobt und dem Führer des Putsches von 1980 bescheinigt, er sei wesentlich für die positive Entwicklung in der Türkei verantwortlich. Kohl kündigte an, die Bundesregierung werde im kommenden Jahr ein Abkommen über die Fortsetzung von Militärhilfe für den Zeitraum bis 1991 verlängern. In dem Gespräch zwischen Genscher und Evren ging es hauptsächlich um zukünftige Investitionen deutscher Firmen in der Türkei. Die türkische Regierung ist dringend auf ausländisches Kapital ange Fortsetzung auf Seite 2

Kommentar auf Seite 4

Siehe auch Seite 5

FORTSETZUNGEN VON SEITE 1

wiesen und hofft offenbar auf Absicherungen durch Bundesbürgschaften.

Für die Zeit des Evren-Besuchs hatte die Bundesregierung die Polizei in Bonn in höchste Alarmstufe versetzt. Trotzdem gelang es am Montag einem Demonstranten, Evren auf dem Bonner Rathausplatz mit einem Ei zu treffen. Evren reagierte sehr verärgert und beschwerte sich bei Weizsäcker mit dem Hinweis, es hätte ja auch „eine Bombe“ sein können.

Gestern protestierten mehr als 1.000 Kurden in Bonn gegen den Besuch des „Chefs der faschistischen türkischen Militärjunta“ und verwiesen auf die „Massaker“ der türkischen Armee in den kurdischen Gebieten. Die Demonstration verlief ohne Zwischenfälle.

Kurt Ullusch

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