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Trillerpfeife und Selbstschußanlagen

Auf der „Security„-Fachmesse sollte die Motivation zur Eigensicherung gefördert werden - „vom Markt her“  ■  Von Cristine Mattauch

Essen (taz) - Der Mann mit dem Beil holt aus. Mit voller Wucht schlägt die Axt gegen die Fensterscheibe. Diesmal wirft er ein Molotow-Cocktail. Es knallt, Flammen schlagen hoch - doch wieder ist die Scheibe heil geblieben.

Der Mann war's zufrieden, sein Arbeitgeber auch. Mit einer zertrümmerten Scheibe hätte er auf der „Security '88“ einpacken können. Hier - auf der 8.Internationalen Sicherheits-Fachmesse in Essen - kam es auf Gefahrenabwehr an. Über 400 Aussteller aus 17 Ländern präsentierten drei Tage lang bis gestern ihr beruhigendes Angebot. Die Besucher kamen in Scharen: Weit über 70.000 wurden gezählt - ein neuer Rekord.

Diese Rekordzahl ist kein Zufall. Die Kriminalität in der Bundesrepublik hat zugenommen; im vergangenen Jahr wurden über 4,4 Millionen Straftaten registriert, ein neuer Höchststand. In seiner Rede zur Eröffnung der Messe betonte Bundesinnenminister Zimmermann, daß da eine „Trendumkehr in der Entwicklung“ erreicht werden müsse, insbesondere solle beim Bürger „die Motivation zur Eigenversorge“ gefördert werden und zwar „vom Markt her“.

Der Markt hätte solche Anfeuerungsrufe freilich kaum nötig gehabt. Der Sicherheitsbereich wird seit einiger Zeit als Absatzfeld mit Zukunft betrachtet. Entsprechend stiegen die Anstrengungen bei der Entwicklung und Vermarktung der schutzspendenden Produkte. Sicherheitsfanatiker und solche, die es werden wollen, kamen bei der „Security '88“ denn auch voll auf ihre Kosten. George Orwell allerdings hätte wohl schleunigst Reißaus genommen: Alarmglocken schrillten, Trillerpfeifen rasselten, Überwachungskameras verfolgten jedermann auf Schritt und Tritt. Neuartige Kontrollsysteme jeder Art wurden vorgestellt, ebenso Freiland-Schutzanlagen, Brandmelder, Nachtsichtkameras und Datensicherungssysteme. Kurz: Es gab alles, was das ängstliche Herz begehrt.

Den Rüstungskonzern Dornier hätte man auf den ersten Blick glatt als Naturschützer verkannt. Das Unternehmen hatte ein etwa zwei mal zwei Meter großes Rasenstück in die Messehalle verpflanzt, es liebevoll mit Herbstblättern dekoriert und dann hermetisch abgeriegelt. Zu schade, daß ein Dornier -Vertreter die Riegel und Sicherungen - ein mannshoher Zaun, Meldekabel- und Radarobjektschutzsystem - ansonsten lieber Munitionsdepots, Gefängnissen und militärischen Sicherheitsbereichen angedeihen lassen wollte. Dafür, tröstete er, sei das System dort mit automatischen Schußanlagen kombinierbar.

Kombinierbar war auf der „Security '88“ so allerhand. Ein Unternehmer hatte den genialen Gedanken, in einen Aktenkoffer Spezialkörper zum Zerstören brisanter Unterlagen einzubauen. Da dürfte so manchem Politiker ein Stein vom Herzen fallen.

Eine Tankstelle nahezu hundertprozentig einbruchssicher auszustatten, ist mittlerweile auch kein Problem mehr. Nur: Die aufwendige Konstruktion flößt bislang auch dem Schutzobjekt Tankwart Angst ein, wie ein Unternehmensvertreter zugab. Seit gut einem Jahr ist das Modell auf dem Markt - doch verkauft hat man erst zwei Ausfertigungen.

Der Einlaßkontrolle dienen angeblich fälschungssichere Ausweise und Chipkarten. In Clubs, in Unternehmen, in Krankenhäusern - „die Einsatzmöglichkeiten der Chipkarten sind nahezu unbegrenzt“, wirbt ein Hersteller. Dornier hat sich hier etwas anderes einfallen lassen: Ein kleiner, unscheinbarer Apparat nimmt vom Benutzer Fingerprints und ordnet sie einer Nummer zu. Wer Einlaß begehrt, der muß seine Nummer angeben und seinen Finger checken lassen. Paßt beides zusammen, gibt der Apparat sein o.k. Wie es heißt, hat der Verfassungsschutz bereits lebhaftes Interesse bekundet.

Ganz groß wurde das neue System der Bundespost herausgestellt. „Temex“ heißt es und verspricht wahre Wunderdinge. Sowohl die Fernüberwachung als auch die Fernsteuerung von zum Beispiel Heizungsanlagen, Licht und Alarmanlagen ist möglich, und zwar mittels eines direkten Drahtes zwischen dem Anbieter und dem Nutzer der jeweiligen Dienstleistung. Denkbar etwa: Die Verbindung einer Alarmanlage mit einem Sicherheitsdienst. Ein Besucher konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen: „Das hört sich ebensogut an wie Btx“ - das sich mittlerweile bekanntlich eher als Ladenhüter entpuppt hat.

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