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Sie sollen nicht triumphieren

■ Zum 50.Todestag von Ernst Barlach

Ulrich Bubrowski

Es ist kein Fall mit mir, der gemeldet werden müßte“, schreibt Ernst Barlach in seinem letzten Brief gut zwei Wochen vor seinem Tod. „Ich bin hier gut aufgehoben und in mancher Beziehung recht gebessert“, und er schließt die wenigen Zeilen an seinen Bruder „in der Hoffnung auf baldige und völlige Genesung“. Die tröstlichen Worte kommen aus der Rostocker Privatklinik St.Georg. Der Künstler wirkt gelassen, harmonisch, ja heiter. Am 24.Oktober 1938 dann stirbt der 68jährige Barlach. Die standesamtliche Urkunde nennt den späten Nachmittag als Todeszeit, als Todesursache einen Herzschlag. Das alles deutet auf einen kurzen, schmerzlosen Tod, auf ein sanftes Einschlafen, nach langem erfüllten Künstlerleben. Doch Brief wie ärztliches Bulletin trügen, sie spiegeln bestenfalls die Oberfläche.

Wohl mag es zutreffen, daß die letzten Stunden ruhig, vielleicht auch nur beruhigt waren, ein friedlicher Tod, ein glückliches Hinübergleiten war Barlach jedenfalls nicht vergönnt. Das Ereignis des 24.Oktobers war vielmehr zwangsläufiger Schlußpunkt einer fast zehnjährigen Agonie voller Schmerzen, voller Krankheit, verursacht durch Kränkungen, eines Todeskampfes, provoziert durch Gewalt, Terror, Folter. Barlachs eigentliches Sterben zog sich unendlich hin, es kam einer schrittweisen Hinrichtung gleich.

Wie das? Wer vom Tode Barlachs spricht, dieses Apolitischen, der nur seine Ruhe oder, wie er es nannte, seine „Ungeschorenheit“ suchte, um voll und einzig im Schaffen aufgehen zu können, wer also seines Todes gedenkt, darf vom Faschismus nicht schweigen.

Barlach war seit spätestens Ende des Ersten Weltkrieges als bildender Künstler allgemein bekannt. Wenige Jahre später „bevölkern“, wie er nicht ohne Stolz und Skepsis bemerkte, seine Plastiken „christliche und jüdische Salons“. Auf allen wesentlichen Ausstellungen ist er vertreten. Ab 1926 folgen öffentliche Aufträge: u.a. die großen Kriegsdenkmäler in Güstrow, Magdeburg, Hamburg. Barlach steht auf der Höhe seines Ruhmes. Ehren werden ihm zuteil. Seit 1914 im Vorstand der Freien Secession, wird er 1919 zum ordentlichen Mitglied der Preußischen Akademie der Künste gewählt, 1925 zum Ehrenmitglied der Bayrischen Akademie. In diesen Jahren setzt er sich auch als Stückeschreiber durch. Bis 1929 erscheinen sieben Dramen, die alle aufgeführt werden. Er erhält 1924 den Kleistpreis zugesprochen und wird zu einem der meistbesprochenen Dramatiker der Weimarer Republik. Die Presse redet von „Barlach-Mode“, der Schriftsteller Alfred Döblin von „Barlach-Hausse“, und Wilhelm Hausenstein, der Kunstkritiker, sieht ihn Ende der zwanziger Jahre gar als „Helden eines Kultes, der beinahe an Idolatrie grenzt“. Barlach selbst bleibt angesichts des Rummels bescheiden und vorsichtig. Er sei zwar „schrecklich populär“, bemerkt er, ahnungsvoll fügt er aber hinzu: „im Moment“. Er traut dem Glamour nicht unbedingt, er war hellhörig, denn er hatte schon seine Erfahrungen.

Bereits im September 1924 nämlich empfand ein Kritiker bei Burlachs Drama Der arme Vetter „Wut und Ekel über das Ungesunde und Krankhafte dessen, was sich hier ausschleimen durfte“. Er attestierte Autor und Werk „Verrücktheit und krankhafte Verzerrtheit“ und ließ seinen Eindruck in den Appell münden: „Man verschone uns gefälligst mit solcher übelerregenden Dramatik! Um nicht deutlicher zu werden...“ So konnte man's im 'Deutschen Tageblatt‘ lesen, dessen Untertitel lautete: Großdeutsche Warte - Kampfblatt der Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung. Gewiß, das war eine Einzelstimme, aber bereits Anfang 1929 ist aus ihr ein Chor geworden. Was sich hier noch hinter den drei Punkten versteckt, macht sich bald deutlich genug - als offene Drohung und physische Maßnahme. Barlach schreibt: die Aufnahme seines Kieler Denkmals sei „frostig und ablehnend. Man hatte zwei Tage vorher sogar das Schwert abgebogen in der Nacht. Alle Rechtsparteien ziehen gegen mich vom Leder. Schlimmer ist die Hetze gegen mich von Seiten der vaterländischen Vereine, speziell Stahlhelm. Meine Entwürfe für ein Ehrenmal in Malchim sind dadurch zu Fall gebracht, daß man behauptet, ich hätte das kommunistische Volksbegehren gegen den Panzerkreuzer unterschrieben. Jeder Hund, der beißt, sich derart hündisch beträgt, riskiert einen Steinwurf, aber diese Herren operieren anonym, aus dem Unterstand der Verantwortungslosigkeit. Ich werde ganz gegen meine Neigung genötigt, vorzugehen mit Klagen, denn der Stahlhelm ist zahlreich, also quantitativ übermächtig, und seine Hetze greift polypenartig weit im Lande herum.“ Es ist Januar 1929!

Das komplexe Muster des Vernichtungsfeldzuges, der fortan Barlach den Atem und den Schlaf nehmen wird, zeichnet sich hier deutlich ab: Zerstörung des Werkes, Hintertreibung von Aufträgen, damit Infragestellung der materiellen Lebensgrundlage, Zwang zu zeit- und nervenraubenden Auseinandersetzungen. Von jetzt an folgen die Schikanen und Beeinträchtigungen Schlag auf Schlag: „Ich bin gründlich in Verschiß in Nähe und Ferne.“ Im November 1930 läßt der Thüringische Innenminister Frick sechs Säle des Weimarer Schlosses ausräumen. Die Arbeiten von Barlach, auch Kandinsky, Klee u.a. sind darunter, Polemik und Pöbelei werden zur alltäglichen Erfahrung. Ab 1933 dann wird die Unterminierung der Schaffens- und Lebensbasis Barlachs systematisch betrieben - durch gezielte wie indirekte Maßnahmen. Die Dramen Der blaue Boll in Berlin und Die echten Sedemunds in Hamburg werden von den laufenden Spielplänen abgesetzt. Hinfort steht ihm keine Bühne mehr offen. Der Verlag Paul Cassirer, der praktisch alle dichterischen Arbeiten Barlachs publizierte, wird geschlossen. Als konkrete Konsequenz ergibt sich daraus, daß während der Naziherrschaft so gut wie kein schriftliches Werk mehr von Barlach erscheint: er ist als Dichter zum Verstummen gebracht. Auch sein zielgerichtetes bildnerisches Schaffen ist untergraben: öffentliche Aufträge, aber auch private bleiben aus. Der Dichter und Künstler Barlach stirbt: er hat keinen sinnvollen Bezugsrahmen mehr, keine Medien, keine Adressaten, keine Auftraggeber. Schlimmer noch: ihn tief kränkend werden seine Werke, die Ehrenmale in Güstrow, Kiel und Magdeburg demontiert, Hunderte seiner anderen Werke beschlagnahmt, er wird mit einem Ausstellungsverbot belegt und ist längst aus der Akademie vertrieben. Zu all dem kommt persönlicher Terror: die frech offensichtliche Postzensur, die Gerüchte, „daß man gehört hätte, ich säße bereits im Konzentrationslager“, die anonymen Beleidigungen, den Telefonanrufen, das nächtliche Pochen an die Haustür, das Einwerfen der Fensterscheiben, die an die Wand gehefteten Zettel: „Judenburg! Wird ausgeräuchert werden!“

Er, bei dem die engste Beziehung, wenn nicht Identität von Werk, Leben und Person besteht, bei dem es „mit der Nutzbürgerei“ nie etwas war, der „ausschließlich“, „ganz und gar Künstler“ ist, er sieht sich bei all diesen Schlägen an seiner Lebensader getroffen, allein gelassen, in die Ausweglosigkeit gestoßen. Die Sprache seiner Briefe ist eindeutig. „Niemand wagt etwas für mich, weder Theater noch Museen“, registriert er. „Wo soll ich hin?“, „Das Wasser wird mir abgegraben.“ „Ich bin wie ein Kapitän, dessen Schiff spürbar eine Schlagseite hat.“ „Mein Wasser sinkt tagtäglich, mein Lebenswasser, meine Existenzbedingungen.“ „Mein Kahn sinkt rapider, die Zeit ist abzusehen, wo ich ersaufe.“ „Man ist ein Schwimmer, der immer noch einmal auftaucht, aber endlich wird er blind und taub, versinkt, vertrinkt.“ In einer „Art Emigrantendasein“ lebend, schreibt er 1937, macht er die Erfahrung einer „Ausgestoßenheit, die der Preisgabe an Vernichtung gleichkommt“ und fährt fort: „Diese mir zugedachte langsame Erdrosselung umgeht nur jene andere der echten Garottierung, aber das Verschleierte ist wegen Vermeidung des geraden Weges nicht weniger verhängnisvoll. Bemäntelungen werden nur gewählt zur Bequemlichkeit des Vollziehens, nicht zur Erleichterung des Verurteilten!“ Barlach klagt nicht, geschweige denn, daß er lamentiert. Sich willenlos reingeben, gar um Gnade bitten, ist auch nicht seine Sache. „Ich bin entschlossen, sie sollen nicht triumphieren.“ Er hat den Willen, „rücksichtlos das Notwendige zu tun.“ Das Notwenige tun heißt, in erster Linie: sich wehren - im Kleinen wie im Großen. Er verschanzt sich in seinem Haus, seinem „Fuchsbau“, installiert zwischen oberen und unterem Geschoß eine Falltür mit heraufziehbarer Leiter, läßt die Hunde nachts ins Freie, hält sich halbwegs lebendig durch lange Spaziergänge, Schlaftabletten und kalte Bäder, versucht am Ort der Denunzianten und Verleumder habhaft zu werden. Auch gegenüber den politischen Institutionen läßt er nicht locker, beharrt auf seinem Recht. Er schreibt Protestbriefe, fordert Erklärungen, verlangt Begründungen, schreibt an lokale Politiker, an die Bevollmächtigten in Schwerin, schreibt an die Geheime Staatspolizei, schreibt an Reichsminister Goebbels. Er will sich nicht zufriedengeben, sich nicht abwimmeln lassen, pocht auf sein Recht, besteht auf Argumenten, insistiert, hakt nach. Unbeirrbar und grimmig führt er diesen aussichtslosen Kampf, gibt keinen Zoll freiwillig Preis. Er verweigert, aus deutschen Sammlungen vertrieben, energisch und konsequent die Beschickung von der Regierung genehmen ausländischen Ausstellungen, verweigert dies, nicht ohne Aufklärung des Widerspruchs zu fordern.

Was warfen die Herrschenden ihm vor? Immer dasselbe: seine dramatischen wie bildnerischen Werke seien „minderwertig“, „krankhaft“, „entartet“, „undeutsch“, weil sie „die kraftlose unmännliche Lehre vom irdischen Jammertal“ verbreitet. Es ermangele ihnen das „Heldentum“, sie zeigten „ nur weltverneinende Asketen, Dulder, Sieche, Büßer und Schwärmer.“

Damit ist Richtiges erkannt. Barlach war nie an Helden, Großen, Arrivierten, Etablierten interessiert. Er wollte sich nie im Realen und Reellen, im mainstream wohlig einnisten. Im Drama und Bildwerk waren vielmehr die Menschen der Peripherie stets seine Sache, nicht die im Lichte Stehenden, die zu bewundernden Idole. Sondern die Bemitleidenswerten, dazu die Träumer, die Hoffenden, die Abhebenden.

Aus dieser Sicht ist Barlachs Kunst eindeutig gesellschaftskritisch; sie steht eindeutig auf der Seite der Opfer, damit eindeutig gegen die Herrschenden - und blieb und bleibt daher für letztere unzugänglich. Barlach biederte sich nie beim Publikum an, machte auch in der Kunst nie Konzessionen, im Gegenteil, er stieß die „Damen und Herren“ vor den Kopf, verachtete „die Heuchler, die Kulturprahler, im Verein mit den dicknäsigen Kulturverächtern“. Er wünschte als Publikum „Leute, die ihm konform sind, deren Bedürfnis er entspricht durch sein Werk“.

Damit sind die Aussichten schlecht für Barlach in unserer Zeit, die wieder vor den Erfolgreichen, den Helden und Stars auf den Knien liegt. Die schaufeln Barlach wieder das Grab. Die allerdings, die nicht unbedingt der Meinung sind, in der besten aller möglichen Welten zu leben, denen es dämmert, daß der Mensch vielleicht ein mißratener Teil der Schöpfung ist, diese verschwindene Minderheit mag an Barlach ihren Gefallen finden, denen kann er bedeutsam werden und lebendig.

Ernst Barlach, Dichter, Zeichner, Bildhauer, geboren 1870, gestorben 1930 bis 1938, als Mensch und Künstler integer und aufrechten Gangs, er wußte in Würde zu sterben, er, Opfer und Besiegter wie seine Figuren, verdient, bei allem, was durchaus problematisch gewesen sein mag an ihm, Respekt gerade heute.

Barlach ist zu sehen:

Die Stücke

-24.Oktober

Die echten Sedemunds

Gastspiel des Deutschen Theaters Berlin/DDR

2300 Kiel, Opernhaus

-25./26.Oktober

Der blaue Boll

Gastspiel des Deutschen Theaters Berlin/DDR

2300 Kiel, Opernhaus

-9./11./14.November u.ö..

Der arme Vetter

2800 Bremen, Theater der Freien und Hansestadt

-31.Dezember u.ö.

Der arme Vetter

2400 Lübeck, Stadttheater

-18.Dezember u.ö.

Der tote Tag

4630 Bochum, Schauspielhaus

Ausstellungen:

bis 6.November

Barlach in Ratzeburg, Ratzeburg und Barlach

2418 Ratzeburg, Kreismuseum

bis 4.Dezember

Im Zauberwald - der junge Barlach

2000 Hamburg 52, Ernst-Barlach-Haus

bis 12.Dezember

Ernst Barlach. Der tote Tag. Text-Graphik-Plastik -Zeichnung

2086 Wedel, Ernst-Barlach-Museum

bis 12.Dezember

Barlach in Güstrow

DDR- 26 Güstrow, Schloß

bis 18.Dezember

Ernst Barlach. Plastiken-Zeichnungen-Druckgraphik

4714 Selm-Cappenberg, Schloß Cappenberg

bis 8.Januar 1989

Ernst Barlach-Denkzeichen

DDR- 2500 Rostock, Kunsthistorisches Museum

u.v.a.m.

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