: Bitterer Weizen: Getreidereserven schrumpfen
Die Dürrekatastrophe in diesem Sommer brachte den US-Farmern die kleinste Ernte seit 18 Jahren / Experten warnen vor einem weltweiten Getreidenotstand ■ Aus Washington Monika Bäuerlein
Jahrelang haben die Farmer der Vereinigten Staaten ihre riesigen Überschüsse in die Sowjetunion, nach Westeuropa und Afrika ausgeführt. Doch ob die USA auch in Zukunft den Weizen als Druckmittel gegen widerspenstige Regierungen vor allen in der Dritten Welt einsetzen können, ist fraglich. Denn dieses Jahr brachten die Felder von Ohio und Missouri die kleinste Ernte seit 18 Jahren. Manche Experten warnen vor einem weltweiten Getreidenotstand. Schon nächstes Jahr könnten die Getreideüberschüsse der Welt aufgebraucht sein, berichtet Lester Brown vom Washingtoner „Worldwatch Institute“ Mitte Oktober.
Durch die Dürrekatastrophe in diesem Sommer haben viele Farmer im Mittleren Westen der USA bis zu 90 Prozent ihrer Erträge verloren. Auf der Forman Farm in Gettysburg, South Dakota, war es fast den ganzen Sommer über 35 Grad heiß. „An einem Tag hatten wir 43 Grad“, meint Brenda Forman. „Das hat einfach alles gargekocht - Mensch, Vieh und Getreide.“
Die Formans und andere Farmer erhalten - es ist schließlich Wahljahr in den USA - eine Entschädigung von der Regierung, und zusammen mit den gestiegenen Getreidepreisen wird sie das wohl dieses Jahr noch über Wasser halten. „Aber ein zweites Mal können wir uns das nicht leisten“, sorgt sich Frau Forman.
„Einen großen Teil der Folgen dieser Dürre werden wir erst im nächsten Frühjahr zu spüren bekommen“, meint Richard Holt vom Natural Resources Defense Council, einer Washingtoner Umweltschutzgruppe.
Die Formans und viele andere Farmer im Mittleren Westen bewässern ihre Felder aus Brunnen, die die großen unterirdischen Wasseradern anzapfen. Dadurch senkt sich der Grundwasserspiegel. Außerdem haben im letzten Sommer die heißen Winde den Mutterboden an vielen Stellen weggeblasen und, niemand weiß, ob die Felder im Frühjahr noch genug Feuchtigkeit für das Getreide werden halten können.
Während das Grundwasser absinkt, steigt die Temperatur. Durch den Treibhauseffekt, so warnten Wissenschaftler auf einer internationalen Klima-Konferenz in Toronto, könnte es schon in den nächsten 20 bis 30 Jahren im Mittleren Westen drei bis vier Grad wärmer werden.
Weltweit sind die Folgen der knappen US-Ernte durchaus spürbar. Da die Erträge in diesem Jahr kaum für den heimischen Verbrauch reichen werden, geschweige denn für den Export, werden Getreidehändler ans Eingemachte gehen müssen: an die riesigen Silos, in denen die US-Kornreserven gelagert werden. Letztes Jahr reichten die Getreideüberschüsse noch aus, um die Welt 110 Tage lang zu ernähren. Durch die knappe Ernte in diesem Jahr sind sie auf die Hälfte gesunken und reichen nur noch für 54 Tage, rechnet Lester Brown. Erschwerend kommt hinzu, daß auch im zweitgrößten Exportland China die Ernte dieses Jahr ungewöhnlich schlecht ausgefallen ist.
Vor 125 Jahren waren die Getreidereserven der Welt schon einmal so weit geschrumpft: 1973 verdoppelten sich innerhalb kürzester Zeit die Preise für Weizen und Mais. Viele Wissenschaftler und Politiker meinten damals, wenn die Landwirtschaft ihre Produktion nicht massiv ausweite, werde es bald zu weltweiten Hungerkatastrophen kommen.
1988 liegen die Dinge ähnlich, aber von „massiven Produktionssteigerungen“ kann nicht die Rede sein. Bauern wie Experten wissen mittlerweile, daß überdüngte und überwässerte Böden zwar kurzfristig saftige Ernten ergeben, langfristig aber für den Anbau verlorengehen. Außerdem gibt es in der Welt genug Getreide, um fünf Milliarden Menschen zu ernähren; nur wird ungefähr die Hälfte davon zur Fleischproduktion an Vieh verfüttert.
Der Weg aus dem Dilemma ist für Lester Brown und andere Kritiker der Regierungspolitik allerdings nicht, stillgelegte Randflächen wieder zu bebauen oder neue, dürreresistente Weizensorten zu entwickeln. Statt dessen, meint er, müßten Farmer wie die Formans nicht „durstige“ Pflanzen wie Weizen und Mais, sondern trocknere Getreide wie Soja und Hirse anbauen. Auch „low-input agriculture“, Landwirtschaft mit weniger Dünge und Pflanzenschutzmitteln, sollte stärker gefördert werden. Vor allem aber sei es bitter nötig, den Dritte-Welt-Ländern zu helfen, sich selbst durch ortsangepaßte Landwirtschaft zu ernähren. Denn die ärmsten Länder hätten am meisten unter kommenden Getreidenoständen zu leiden, wenn die nächste Dürre kommt.
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