Moskau erwartet Helmut Kohl

Der Kanzler beginnt heute seinen Besuch in der sowjetischen Hauptstadt / Sechs Treffen mit Gorbatschow  ■  Von Erich Rathfelder

Berlin (taz) - Mit Hoffnung und Bangen blickt man in der Bundesrepublik und in der Sowjetunion auf den heute beginnenden Besuch des Bundeskanzlers in der sowjetischen Hauptstadt. Die Hoffnungen erhielten Auftrieb durch Äußerungen Gorbatschows, die viertägige Visite des Kanzlers könne zu einem „Markstein“ in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern werden. Das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik habe einen hohen Stellenwert für Europa und „ohne zu übertreiben, für die ganze Welt“, erklärte der Kremlchef im 'Spiegel‘. Wenn Gorbatschow in diesem Satz dem Selbstbewußtsein der Deutschen schmeichelte und sich an die Sprachkünste des Kanzlers anlehnte, so müssen die Deutschen jetzt bangen, daß auch der Kanzler zu sprachlichen Höchstleistungen herausgefordert ist. Der Vergleich Gorbatschows mit Goebbels aus dem Kanzlermund sitzt nicht nur den Sowjets noch in den Knochen. Im Vorfeld des Besuchs war deutsch Fortsetzung auf Seite 2

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erseits immerhin ernsthaft der Besuch „Stalingrads“ in Erwägung gezogen worden.

Besonders heikel wird es wohl, wenn die beiden auf die „deutsche Frage“ stoßen. „Lassen Sie uns das europäische Haus einrichten, darin leben und sehen, was daraus wird ...

Jeder Versuch, die Grenzen zwischen den souveränen deutschen Staaten zu schleifen, gar Kraftmeierei zu betreiben, wäre unakzeptabel und katastrophal“, gab Gorbatschow zu bedenken und zeigte so im Vorfeld die Grenzen für den Kanzler auf. Für Gorbatschow ist nach eigenen Aussagen die Architektur des renovierten alten Hauses Europas jedoch nicht vollkommen, wenn in Berlin die Tür fest verschlossen bliebe. Dafür müsse aber der Prozeß der Normalisierung vorangetrieben werden.