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Muster ohne Wohnwert

■ Verbraucherzentrale testete Wohnung für drei Generationen

Drei Generationen unter einem Dach? Was früher selbstverständlich war, gilt heute als die Ausnahme. Für die Planer im öffentlich geförderten Wohnungsbau auf jeden Fall. Zwar leben nur noch 41 Prozent der Berliner Bevölkerung in der sogenannten Kernfamilie, aber gebaut wird weiterhin für die Musterfamilie Mann-Frau-Kind. Andere Lebensformen werden nicht berücksichtigt.

Nun hat die DEGEWO der Verbraucherzentrale eine Musterwohnung in der Augsburger Straße in Schöneberg zur Verfügung gestellt, damit die WohnberaterInnen für das Thema Drei Generationen unter einem Dach aus der Praxisfülle schöpfen können. In der am letzten Freitag der Öffentlichkeit vorgestellten Wohnung macht weniger die Enge das Familienleben der fiktiven Vater-Sohn-und-Oma -Konstellation zur Hölle als vielmehr die vorgegebene Aufteilung der 90 qm.

Ist Vater ein Schichtarbeiter, kommt er nicht zur Ruhe, aber Heimarbeiter darf er in seinem kleinen Zimmer auch nicht sein. Dafür kann Oma mit dem Wintergarten „am Außenleben teilnehmen“, wie die Verbraucherzentrale positiv vermerkt. Das gilt aber nicht für den Winter, der Raum ist nicht beheizbar.

Sollte Oma eines Tages im Rollstuhl sitzen, müßte sie wieder ausziehen: die Türöffnungen sind zu schmal für das Gefährt. Vom Kontaktpool Küchentisch kann Oma nur träumen, für den gibt es nämlich in der Küche keinen Platz. Und die unnötig langen Wege zum Essen im Wohnzimmer haben bald alle satt.

Trotz Hochbett bleibt auch im Kinderzimmer wenig Bewegungsfreiheit. Dabei liegt die Größe über der Norm: 7 qm Wohnraum werden dem Kind zugeteilt. Ein Gorilla im Zoo hat Anspruch auf 8,5 qm und für das stehende Automobil werden 12 qm veranschlagt. Und braucht der Kleine mal Auslauf, bleibt ihm der Platz zwischen Tür und Badewanne, eine Waschmaschine paßt da sowieso nicht hin. Oma schließlich bekommt als Ausgleich für ihr kleines Zimmer einen begehbaren Schrank im Flur.

Mit dem Innern der Wohnung haben sich die Planer - das als Erbauer des ICC bekanntgewordene Architektenehepaar Schüler -Witte - zu wenig beschäftigt. Zwar hätten sie Wert darauf gelegt, daß „die Wohnung mit praxisüblichen Möbeln eingerichtet werden kann“, doch die Berater der Verbraucherzentrale müssen für Mobilität plädieren, für eine Schrankwand oder sonstige Vorzeigewohnzimmerkolosse ist einfach kein Platz. Außerdem würde jede normale Hausfrau sofort erkennen, daß ihre Arbeitsbedingungen nicht berücksichtigt sind.

So interessant die gestellte Aufgabe, aber drei Generationen werden unter diesem Dach nicht glücklich.

Sollte einer anderen Wohngemeinschaft nach nervenaufreibender Suche diese Musterwohnung als Paradies erscheinen, so ist sie hier an der falschen Adresse. Wohnberechtigt sind keine Einzelpersonen in der 4-Zimmer -Wohnung. Berechtigungsscheine zusammenzulegen gilt nicht. Statt dessen gilt das soziale Gesetz: „Trautes Heim, Glück allein“.

Petra Schrott

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