: Nekrolog in eigener Sache
■ Lebensstationen eines deutschen Juden und kommunistischen Intellektuellen - Stefan Heym (75) erinnert sich im „Nachruf“
Prag 1952. Für den patentierten amerikanischen Offizier Heym hat sich der Kurs ins Exil wieder einmal geändert: von West nach Ost, von der McCarthy-Front gegen politische Rothäute mit Kalten-Kriegs-Füßen nach Prag in die sogenannte Dichter -Residenz. Quartier bezogen haben dort schon einige Literaten. Tage werden verschwatzt, die Abende vorzugsweise versoffen, als Stefan Heym und Pablo Neruda aneinandergeraten. Der möchte die Schreibmaschine des amerikanischen Reemigranten gegen die seine tauschen. Ob jener denn nicht wisse, wer er sei: „Aber ja doch, unverkennbar, der große Neruda, dem selbstverständlich und überall das Beste zustehe; aber just diese Schreibmaschine brauche er, S.H., für seine eigenen bescheidenen Schreibversuche.“ Sagt's und zieht sich zurück.
Die Quintessenz dieser grotesken Episode ist dem ganzen dickleibigen Buch unterlegt: Helmut Flieg alias Stefan Heym mußte und wußte sich zeitlebens gegen versuchte Verhinderungen am Schreiben zur Wehr zu setzen. Jede Anekdote, Selbstbezichtigung und Grübelei des Stefan Heym über die dritte Person S.H. bedeudet das: S.H. ist kein Märtyrer oder Held, er ist ein entschlossener und siegreicher Triumphator.
Seine Naivität hat der Kleinbürger abgelegt, als er 1933 wegen eines antimilitaristischen Gedichtes das vorgeblich 1.000jährige Reich verlassen muß. In Prag wird der Jüngling das Mannsbild späterer Jahre. Karrieredurst und Hormonhaushalt lassen sich gleichermaßen befriedigen: durch journalistische Inspiration und nützliche Deflorationen. Das Zauberwort des Erfolgs heißt schlicht: „connections“.
Prompt kann er als Stipendiat einer jüdischen Studentenverbindung in das gelobte Land nach Chicago übersiedeln. Der „underdog“ fällt sprichwörtlich auf die Füße. Wohlweislich dosiert er in seinen englischsprachigen „short stories“ Politthriller und „soap opera“. Das verspricht Erfolg. Hostage, zu deutsch: Der Fall Glasenapp beschert ihn.
Seitenweise zitiert Heym die Hymnen der Literaturkritik. Kritteleien - wie jene Thomas Manns - kontert er: „Die Reaktion des großen Mannes ist verständlich, besonders in der Gluthitze, bei leichtester Kleidung, die für denselben Tag vermerkt wird.“ Die Ironie übertönt das Gefühl literarischer Minderwertigkeit nur notdürftig. Da ficht jemand um die Würdigung seiner oft genug glücklosen Mixtur aus „fiction“ und „fact“ als sogenannte große Literatur, auch in den Gemäuern des eigenen Landes. Mit tiefem Knicks vor Ulbricht und Honeckers Erich bastelt er an seiner Salonschleife im sogenannten Sozialismus (und demnächst werden zwei seiner indizierten Bücher auch dort erscheinen können).
Was Heym auch erzählt, eigentlich ist nur eines bedeutet und bedeutend: er selbst und seine Werke. Die historischen Ereignisse bleiben blasse Staffage: Über den Reichstagsbrand, den Holocaust oder das Kriegsende ist nichts Neues zu erfahren, über das Leben in den USA und die deutsche Dichter-Kolonie schlechterdings gar nichts. Historie ist ihm die Summe seiner literarisierten Geschichten und umgekehrt. Was nicht schon einmal aus seiner Feder geflossen ist, wird geflissentlich übergangen. Beispielsweise der Mauerbau. Umgekehrt wirkt dieser (Journalisten-)Blick auf die Geschiche perfid. Mit der Schreibmaschine bewaffnet zieht der GI Heym in den Krieg. Sein größtes Kriegsglück ist es, daß er „nach Themen nie lange suchen mußte“, sein mutmaßlich größtes Unglück, das Papier nicht ordentlich einspannen zu können. Ein anderes Beispiel: Heym begegnet Kästner wenige Wochen nach dem Kriegsende. Sein erster Gedanke: „Welch ein Stoff, diese Zwischenzeit, und Kästner hat sie erlebt, hier in diesem Land, unter diesem Volk.“ Warum jener denn noch keinen Roman über all das verfaßt habe? - „Schwer zu sagen; Sie würden's wohl auch kaum verstehen, Heym.“ Der versteht das nicht. Seine Devise ist die absolute Professionalität, auch später, als ihm 9.000 Ostmark Geldstrafe für die nicht genehmigte Publikation des Romans Collin im Westen auferlegt werden: „Die beste Investition seines Lebens“, wie er meint, „sie steigern die Auflage (West) des Collin, und indirekt auch seiner anderen Titel.“
Bekenntnisse solcher Art machen ihn geradezu wieder sympathisch: Ehrlich ist er, dieser Zocker im Materialismus. Respekt.
Mike Seidensticker
Stefan Heym, Nachruf, Bertelsmann Verlag, München 1988, 848 Seiten, 48 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen