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Jüdischen Friedhof besucht

■ Israelitischer Gemeindevorstand führte KatholikInnen durch die Geschichte

Hohe Bäume mit herbstlich verfärbten Blättern, wärmende Strahlen der Nachmittagssonne, mit dichtem Efeu bewachsene alte Grabmäler: Im Gegensatz zu all dem Grauen, daß gegenwärtig im Gedenken an die „Reichskristallnacht“ ins Bewußtsein dringt, wirkt der jüdische Friedhof an der Hastädter Deichbruchstraße - bei den ersten unbefangenen Blicken - als wohltuender Ort des Friedens und des Rückzugs. Als Veranstaltung zum 50. Jahrestag des Judenpogroms ließen sich gestern rund 60 ChristInnen, die meisten katholischen Glaubens, von einem Israelitischen Gemeindevorstand über den Friedhof führen, um die Spuren der Vergangenheit zu entdecken. Und Siegfrid Stoppelmann kennt fast jedes Grab. In den letzten zwanzig Jahren hat er einiges dafür getan, daß der Friedhof „in Ordnung gebracht wurde“. Früher habe auch unabhängig von Sparzwängen - die Auffassung vorgeherrscht, ein jüdischer Friedhof als Gedenkstätte solle nicht restauriert werden. Doch schließlich habe Bausenator Meyer dankenswerterweise für einen unverzüglichen Einsatz des Gartenbauamtes gesorgt.

Der Friedhof ist über zweihundert Jahre alt, führt Siegfried Stoppelmann die „nichtjüdischen“ BesucherInnen ein. 1776 wurde der erste Tote, ein englischer Jude, bestattet. Die Gräber angefangen mit dem des Engländers bis zu denen vor dem Machtantritt der Faschisten 1933 bilden den „ersten Teil“. Da die Faschisten den alten Friedhof völlig verwüsteten, konnte er nach 1945 nur dank Aufzeichnungen im Staatsarchiv wieder Grabmal für Grabmal aufgebaut werden.

Diejenigen Jüdinnen und Juden , die zwischen 1933-45 nicht im Exil und nicht im Lager, sondern in Bremen starben, machen den „den zweiten Teil“ des Friedhofs aus. Die meisten Gräber sind verwaist. Siegfried Stoppelmann: „Die Kinder wanderten aus, und die zurückgebliebenen Eltern nahmen sich das Leben“. Diejenigen - über 900 - Bremer JüdInnen, die während des „Dritten Reichs“ außerhalb Bremens ermordet wurden, sind in einem schlichten Gedenkstein verewigt. Die beiden, die in der „Reichskristallnacht“ getötet wurden, liegen dicht beieinander, im Schutz der Freidhofsmauer. Die Angehörigen und NachbarInnen, die heimlich versuchten, die Gräber zu pflegen, wurden von Nazis verprügelt oder von christlichen Nachbarn angezeigt.

Im „dritten Teil“ ruhen die, die den Faschismus überlebt haben. Siegfried Stoppelmann: „Wer aus Sachsenhausem, Auschwitz, Theresienstadt zurück kam, hat meistens nicht mehr lange gelebt.“ Die Vergangenheit ist nah, auch er war in Sachsenhausen. Das kann kein Efeu überdecken.

Barbara Debus

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