: HAUS HOCH!
■ „Der Schrei nach dem Turmhaus“ im Bauhaus-Archiv
An Berlins Baulöwen haftet ein schlechter Ruf. Der ist nicht neu, sondern hat Tradition. Schlecht ist nicht, daß Bauvorhaben eher im Bordell denn am Reißbrett ausgemauschelt werden, die Betreiber landen meist im Knast. Schlecht ist vielmehr, daß anspruchsvolle Ideen mit über die Klinge springen. Und: Gebaut wird am Ende gar nicht, und wenn, dann saumäßig.
Ein Schurkenstück ganz besonderer Güte stellt zur Zeit das Bauhaus-Archiv aus: „Der Schrei nach dem Turmhaus. Der Ideenwettbewerb Hochhaus am Bahnhof Friedrichstraße 1921/22“. Ausgelobt hatte den Hochhauswettbewerb die neugegründete finanzstarke Turmhaus AG. Absicht des Bauunternehmens und Standort schienen ebenso integer wie prominent, galt doch der Wolkenkratzer als kommendes Symbol moderner technischer Bauentwicklung, visionärer urbaner Siedlungsart und ästhetisch innovativer Form. Auch das unbebaute, dreieckige Gelände vor dem Stadtbahnhof war ein Ort, dem das Hochhaus die Note weltstädtischen Flairs geben sollte.
Sechs Wochen nach der Auslobung wurden 144 Entwürfe eingereicht, darunter so bemerkenswerte wie Mies van der Rohes prismatisch geformtes Glashochhaus, Hans Soeders funktionalistischer Stahlstern oder Hans Scharouns eigenwillig rhythmisierter Hochbau.
1922, nach der Veröffentlichung der Preisträger, entschied sich die Turmhaus AG, nicht die ersten oder gar besten zu einem engeren Wettbewerb zu laden, sondern präsentierte als Favorit einen „vierten“ Gewinner, den Architekten Otto Kohtz, dessen Entwurf deutlich den Memorialcharakter amerikanischer Vorbilder zitiert. Vollends klar schien das abgekartete Spiel, als bekannt wurde, daß Kohtz schon vor der Sitzung des Preisgerichtes damit beauftragt worden war, seinen Wettbewerbsbeitrag auszuarbeiten. Wurde Kritik an Kohtzes Entwürfen laut, so konterte die Turmhaus AG mit gezielten Attacken gegen Mitbewerber oder linkte die Öffentlichkeit mit Falschmeldungen über scheinbare Vertragsabschlüsse mit den Grundstückseigenern. 1924 zauberte die Turmhaus AG gar einen neuen Entwurf aus dem Ärmel, der einen antikisierenden Monumentalbau des Architekten Johann Emil Schaudt darstellt, der eher einem Hochbunker gleicht als einem modernen Geschäftshaus. Schließlich ließ die Turmhaus AG das Projekt ganz fallen, nachdem es zu keiner endgültigen Einigung über die Verfügbarkeit des Grundstücks gekommen war und keine Baugenehmigung seitens der Stadt Berlin gegeben wurde. 1929 kaufte die BVG das Gelände.
Die kleine und bemerkenswerte Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit der TU Berlin entstand, führt vor, wie der missionarische Ruf nach der zukünftigen Hochhausstadt Berlin zu einem implosiven Knall der Architekturszene geriet. Die Eruption unter dem programmatischen Schrei war nichts weiter als ein repräsentativer Werbegag der Turmhaus AG aus Schall und Rauch, für den namhafte Architekten ihre Namen und Ideen hergaben. Die Grund- und Aufrisse, Ansichten und Modelle eines Geschäftshochhauses am Bahnhof Friedrichstraße, ergänzt durch frühere und spätere Varianten und zeitgleiche amerikanische Bauten, ergeben ein eindrucksvolles Bild der Entwurfsarbeiten der im Wettbewerb geleimten Architekturavantgarde, inklusive dem ihrer konservativen eklektizistischen Konkurrenten, die Hochhäuser mit überdimensionalen Gasometern und bizarren gotischen Kirchtürmen verwechselten. Daß deren Hochburgen nicht steinerne Gestalt annahmen, sondern nur skizzenhaft blieben, ist tröstlich im Glauben an den Mythos der ausgleichenden Gerechtigkeit.
Geblieben sind die erfolglosen Anstrengungen eines späteren Wettbewerbs der BVG (1929), der den Architekten der Moderne eine neue Chance bot. Umsonst. Geblieben ist auch nach wie vor das unbebaute Grundstück vor dem Bahnhof Friedrichstraße, auf dem immer ein zugiger Wind pfeift und es merkwürdig stinkt.
rola
Die Ausstellung ist noch bis zum 15.1. 1989 im Bauhaus -Archiv zu sehen. Der Katalog kostet 38 DM.
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