Die Stimmen der Hispanics

In den US-Wahlen werden die spanischsprachigen Amerikaner nicht das Zünglein an der Waage spielen können: Bei Bushs Vorsprung wird es auf sie nicht ankommen  ■  Aus Austin Reed Stillwater

Man nennt sie Hispanics, Latinos, Mexicans (oder Meskins), Mexican-Americans, Chicanos, Spanish; Tejanos heißen sie, wenn sie in Texas leben bzw. Californios, wenn sie aus Kalifornien kommen. Keine dieser Bezeichnungen gilt als Anstößig. Gemeint sind immer jene Amerikaner, deren Muttersprache Spanisch ist. Sie leben in New York, in Chicago, in Miami, vor allem aber im Südwesten der USA, in New Mexico, Arizona, Kalifornien, Colorado und in Texas. Sie kommen aus Kuba als Flüchtlinge, aus Puertorico, das so etwas wie eine Kolonie Amerikas ist, aus Zentralamerika als Asylanten oder aus Mexiko als Arbeitssuchende. Im Südwesten bilden sie die eigentlich ansässige Bevölkerung. Als Nachfahren der ersten spanischen Kolonisten und ihrer Vermischung mit der ursprünglich einheimischen indianischen Bevölkerung, lebten sie dort lange, bevor die Anglos kamen. Sie gaben den Landschaften, Flüssen und Städten ihre Namen: Colorado, Sierra Nevada, Llano, Galuro, Cerro Montoso, Rio Grande, Pedernales, Los Angeles, Santa Fe, Albuquerque, San Antonio, El Paso.

In diesem Wahljahr haben sich beide Parteien, vor allem aber die Demokratische, um die Stimmen dieser Bevölkerungsgruppe bemüht: Dukakis hält Teile seiner Wahlreden auf spanisch und verweist immer wieder auf seine Imigrantenherkunft, die griechische Tradition seiner Familie und auf seine und seines Vizes fließende Spanischkenntnisse. Bushs Versuche, sich in seinen Wahlreden einige spanische Sätze abzuquälen, wirkten dagegen eher lächerlich. Welche Bedeutung hat die spanische Stimme in diesem Wahljahr wirklich? Nach der letzten amerikanischen Volkszählung 1986 lebten 18,1 Millionen Hispanics in den USA. Das Bevölkerungswachstum der Hispanics beträgt das fünffache des nationalen Durchschnittes. Im Jahre 2000 wird die Bevölkerung Kaliforniens zu 46 Prozent aus Minoritäten (Hispanics, Asiaten und Schwarze) bestehen, wovon die Hispanics die größte sein werden.

Gleichwohl werden die spanischen Stimmen in diesem Jahr nur vier Prozent der abgegebenen Stimmen ausmachen. Das würde nun wieder vergleichsweise bedeutungslos sein, wenn sich diese Stimmen nicht zu 85 Prozent in neun Staaten konzentrierten, die 75 Prozent der Stimmen und 193 der 270 Wahlmänner stellen. Zwei dieser Staaten gelten als Schlüssel zum Wahlerfolg überhaupt, Texas mit 24 und Kalifornien mit 49 Wahlmännern. Wer diese Staaten gewinnt, wird aller Wahrscheinlichkeit nach die Wahl überhaupt gewinnen, und bei einem Kopf-an-Kopf-Rennen der Kandidaten in diesen Staaten könnte die spanische Stimme den Ausschlag geben.

Das Problem ist nur: die Kandidaten liegen nicht Kopf an Kopf, und die spanischen Wähler sind dieses Jahr weder für den einen noch den anderen Kandidaten zu begeistern. Seit Kennedy, Johnson und den 60er Jahren hat sich die demokratische Partei mit der Civil Rights Bewegung identifiziert. Das hat die Demokraten nicht nur zur Partei der Schwarzen, sondern auch zu der der Chicanos gemacht, wie sie sich selber damals nannten und nach dem Vorbild der Schwarzen zu organisieren begannen. Die meisten Hispanics litten und leiden trotz ihrer Majoritäten in vielen Städten und Landstrichen unter Diskriminierung und Armut, sie haben die schlechtesten Arbeitsbedingungen und die niedrigsten Einkommen: jeder vierte spanisch sprechende Amerikaner lebt unter der Armutsgrenze. Das ermittelte Jahreseinkommen einer angloamerikanischen Familie (39.135 Dollar) ist acht mal höher als das einer hispanisch-amerikanischen Familie (4.913 Dollar) (und 12 mal höher als das einer schwarzen amerikanischen Familie (3.397 Dollar).

Kein „anderes Amerika“

Da die Demokraten nun nicht nur mit Civil Rights, sondern auch mit Regierungsprogrammen zur Bekämpfung der Armut identifiziert werden, geht die hispanische Stimme seit Jahren naturwüchsig zu den Demokraten. „Doch das bedeutet nicht, daß die Hispanics eine liberale oder gar eine linke Kraft seien“, sagt Rudy de la Garza, Leiter des Centre for Mexican American Studies an der University of Texas in Austin. Die hispanischen Amerikaner sind Amerikaner wie die anderen auch. In den meisten Fragen von nationalem Interesse spiegelt die Meinung der Hispanics die der Mehrheit der Angloamerikaner. Sie sind für den Fahneneid, weil sie mindestens ebenso patriotisch sind wie die Anglos. Sie sind gegen Abtreibung, eher noch mehr als die Anglos, weil sie katholisch sind. Was die Mittelamerikapolitik der USA anbelangt, teilen die Hispanics die Auffasung der Mehrgheit der amerikaner überhaupt, sie sind zu 75 Prozent dagegen. Antimilitarismus ist dagegen nicht die Sache der Hispanics, im Gegenteil, die Armee ist eine Karriere-Chance für Minderheiten, und die Hispanics sind im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung überdurchschnittlich stark in ihr vertreten. Gegen Überrüstung sind die Hispanics allerdings, denn zu große Rüstungsausgaben verhindern Sozialausgaben und Sozialprogramme.

Was die Hispanics wollen, ist nicht das System ändern, sie wollen Zugang zum System. Ist Chancengleichheit einmal gegeben, haben die Hispanics, was Fortschritt und Fortkommen anbelangt, die gleiche Auffasung, wie sie für die amerikanische Mehrheit typisch ist: „Jeder ist Meister seines Schicksals und für sein eigenes Wohlergehen verantwortlich.“ Anglos haben oft die Auffassung, daß die Minoritäten den Kurs des Landes ändern und die Nation retten sollen und können, das erwarteten die Studenten in den 60er Jahren von den Schwarzen, das erwarten Demokraten, Liberale und Linke heute von den Hispanics. Die Hispanics bestimmen den Kurs dieses Landes nicht, wieso sollten sie für dessen Änderung verantwortlich sein.

Das einzige was die Hispanics können, ist in einer knappen Entscheidung das Zünglein an der Waage sein. Doch so knapp wird die Entscheidung dieses Jahr nicht ausfallen. Nehmen wir Texas: 23 Prozent der Bevölkerung zählt zu den Mexican -Americans. Etwa 10 Prozent werden wählen gehen. 10 Prozent der mexicanisch-amerikanischen Wahlstimmen wiegen gerade ein Prozent der angloamerikanischen Stimmen auf. Also können die Mexican Americans hier in Texas maximal fünf Prozent der Stimmen beeinflussen. Bushs Vorsprung hier ist aber größer. Das wissen auch viele Hispanics und werden schon deshalb nicht zur Wahl gehen. Man erwarte also nicht die Wende zum Besseren von den Mexican Americans.