Ein fahrendes Frauenzimmer

■ Eine Reise mit der Wanderkomödiantin Karoline Schulze-Kummerfeld /1745-1815) per Mistkarren, Kutsche und Floß: Inge Buck stellt heute abend diese Lebenserinnerungen vor: Eine Reiseszene

Inge Buck, Literatur- und Theaterwissenschaftlerin an der Universität Bremen, liest heute abend, 20 Uhr, Hochschule Bremen, Auszüge aus dem Buch „Ein fahrendes Frauenzimmer. Die Lebenserinnerungen der Komödiantin Karoline Schulze -Kummerfeld an der Wende vom feudalen zum bürgerlichen Zeitalter“, das sie selbst neu herausgegeben hat. Wir nehmen die Lesung zum Anlaß, einen kleinen Auszug abzudrucken.

Allgemein wurde es nun, daß Friede in Europa war, und wir fuhren sozusagen mit den Friedensherolden zugleich zum Frankfurter Tor hinaus. Wir waren nicht lange gereist, als wir fanden, daß die Fuhrleute recht hatten. Denn kaum konnte man mit den Leiterwagen durch. Tragikomischer wird schwerlich wieder eine Reise gemacht.

Die Herren gingen fast alle zu

Fuß, sogar der kranke Mylius wollte gehen, es half kein Abraten; er ging mit Schuhen und weißen seidenen Strümpfen. Da versank er bis an die Knie im Morast. Er schrie, man solle ihm helfen. Die jungen Herren konnten's nicht, ein guter Freund erbarmte sich des Kranken, wanderte durch den Kot. Mylius mußte sich auf seinen Rücken hocken - plauz, da lagen beide, der Menschenfreund unten, der Kranke auf ihm. Wir alle wollten uns totlachen, denn der Auftritt mit allen Nebenumständen war zu komisch. Der Kranke lachte herzlich und drückte dadurch seinen Retter immer tiefer in den Kot. Wir Frauenzimmer mochten uns auf unsern Wagen setzen, wie wir wollten, so lagen wir immer eins auf dem andern mitten im Wagen auf dem Stroh.

Zum Glück hatten wir uns alle

gut verproviantiert. Denn kaum Brot fand man in den Dörfern und Städten. Wie oft wir umgeworfen und alle im Kot lagen, wie viele Pferde gestürzt, die kaum wieder aufkamen, wie viele Räder und Achsen und Deichseln gebrochen, das war nicht zu zählen.

Um sich einen Begriff von der Fahrt zu machen, so will ich der Geschwindigkeit wegen eines Tages nur gedenken. Das Dorf hieß Langdorf, gewiß seiner Länge wegen. Denn des Morgens sieben Uhr fuhren wir aus dem Wirtshaus, das an dem einen Ende stand, und des Abends sieben Uhr kehrten wir am andern Ende des nämlichen Dorfes in dem Wirtshaus, das an dem Ende stand, wieder ein. 12 Stunden! Ja, 12 Stunden; aber das ist auch wahr, daß der Schmied und Wagner von dem Dorf ebensowenig die 12 Stunden was essen konnten wie

wir. Denn unsere vier Wagen mit Menschen und Bagage, sogar der mit Heu und Hafer aufgeladene Wagen, alle fielen, einer nach dem anderen. An jedem brach was. Die Pferde fielen in Löcher bis an die Bäuche. Kurz, es war zum Erbarmen, so sehr ich auch und wir alle nachher gelacht haben. Gottlob, daß keiner von uns zu Schaden kam. Denn daß wir alle braun und blau gestoßen und gefallen waren, wurde nicht geachtet.

Willigere und gutere Bauern habe ich noch nie gefunden als auf der Reise. Aber die armen leute hatten selbst nichts, wir gaben ihnen. Da, wo es von der Poststraße abging, glaubten sie es erst durch uns, daß gewiß Friede wäre.

Sie hielten uns für geflüchtete Hessen, die der Krieg aus ihrem Vaterland verscheuchte, und die nun wieder in ihre Vaterstadt zu

rückkehrten. Und wir ließen sie dabei. Sie sahen uns als Engel vom Himmel gesandt.

Ein Knabe von sechs jahren brachte uns Salz und Wasser; denn sonst war nichts da. Das Brot, das die armen Menschen aßen, war nicht zu genießen. Wie er uns das hingesetzt, rechte er seiner Mutter einen Stuhl. Die setzte sich, er stand vor ihr, und sie reichte ihm eine von ihren Brüsten hin und ließ ihn trinken. „Mein Gott! Frau, der Junge trinkt noch die Brust? Wie alt ist er?“

Da erfuhren wir's: Sechs jahre vorbei. „Wie hätte ich ihn sonst erhalten können in dem Elend. So aber hatte er Nahrung von mir mit. Aber von heute an soll er sie nicht mehr haben. Gottlob, Sie sagen, es ist Friede.“

Karoline Schulze-Kummerfeld