piwik no script img

„Auch mit den 'Erzfeinden‘ sprechen“

■ Die „Mahnwache-Frauen“ der evangelischen Frauenhilfe stehen seit sieben Jahren auf dem Bremer Marktplatz - Warum eigentlich? / Christliche Verantwortung, Solidarität mit Demonstranten, für Frieden und Abrüstung

Seit sieben Jahren stehen Frauen mit Transparenten regelmäßig auf dem Bremer Marktplatz. Auf einem großen Bettlaken heißt es: Wir stehen für den Frieden, für Abrüstung, Versöhnung und Gerechtigkeit. Ursula Kerstein unterhielt sich mit zwei „Mahnwache-Frauen“ aus der evangelischen Frauenhilfe Bremen, Helga Garde und Ingeborg Kramer.

Mit welchen Beweggründen haben sie damals angefangen?

H.K.: Auslöser waren zunächst Demonstrationen in Brokdorf, wo wir uns aufgerufen fühlten, mit unseren Kindern gemeinsam etwas gegen Atomkraftwerke zu tun. Daraus ist dann die Idee entstanden. Als es Ende 1981 um das Thema der Nachrüstung ging, haben wir während der Friedensdekade eine Woche lang jeden Tag über mehrere Stunden eine Mahnwache gemacht.

Gab es nie Resignation auf Ihrer Seite?

I.K.: Bei uns gab es nach dem Nachrüstungsbeschluß nur eine ganz kurze Zeit der Resignation. Wir mußten weitermachen, weil wir in der Aufstellung der Pershing-Raketen eine große Bedrohung sahen, die wir bekämpfen mußten mit unseren Möglich

keiten. Die Frauen in Südafrika oder Argentinien (Mütter der Verschwundenen, d.R.) mit ihrem enormen Durchhaltevermögen waren und sind Vorbilder für uns.

Bei Ihnen spielt der christliche Gedanke eine große Rolle...

H.G.: Christen haben den Auftrag, in die Welt hinauszugehen. Dabei trifft man viele, die eine andere Auffassung und andere Lebensvorstellungen haben. Das bedeutet für Christen, daß sie mit dem Andersdenkenden zusammenarbeiten müssen. Auch mit Kommunisten, unseren - auch glaubensmäßigen Erzfeinden (in Anführungsstrichen) haben wir gesprochen und dabei viele Über

einstimmungen entdeckt. So ist das Feindbild an vielen Punkten.

Wie reagieren die Leute auf der Straße auf die Mahnwachen?

H.G.: Wir haben ein Transparent, auf dem steht ein Satz von Thomas Mann: „Der Antikommunismus ist die Grundtorheit des Jahrhunderts.“ Darauf gibt es nach wie vor sehr heftige Reaktionen. Man merkt, daß dieses Feindbild noch recht massiv da ist.

Gibt es auch unterschiedliche Reaktionen von Männern und Frauen?

I.K.: Oh ja, vor allem die älteren Männer, die an der Ostfront waren, meinen, den Russen zu kennen und zu wissen, daß wir nach

wie vor massiv bedroht werden. In deren Köpfen herrscht ein total verworrenes Geschichtsbild bis hin zum Gedanken, „der Russe“ habe uns angegriffen.

Bei den Trümmerfrauen, die den Krieg hier miterlebt haben, ihre Männer und Söhne verloren haben, hat sich ein völlig gegenteiliges Bewußtsein entwickelt. Die

Trümmerfrauen haben uns von Beginn an unterstützt, uns angesprochen oder sich einfach zu uns gestellt.

Fragen: Ursula Kerstein

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen