: Alle Jahre wieder: Mädchen im Abseits
■ Ausbildungsmisere in Bremer Betrieben: Zu wenig Plätze, zu wenig Informationen, Ablehnungen für Mädchen / Quotierung im öffentlichen Dienst hat nicht in die Privatwirtschaft durchgeschlagen / AFG-Novelle wird weiterer Stolperstein
Jetzt schon beginnen SchülerInnen aus den Abgangsklassen für den kommenden Herbst nach einer Lehrstelle zu suchen. Ein Teil der AbiturientInnen wird sicherlich studieren. Für die anderen müssen Ausbildungsplätze her, und zwar mehr, als es derzeit in Bremen gibt. Denn über den aktuellen Bedarf hinaus müssen immer noch viele Jugendliche versorgt werden, die sich in den letzten Jahren vergeblich um eine Lehrstelle bemüht haben. Der DGB schätzt, daß in Bremen - trotz der kürzlich verbreiteten positiven Prognosen - nach wie vor ca. 4.000 Ausbildungsplätze fehlen.
Die Verteilung dieses Mangels gehorcht der Devise (eines Bremer Ausbildungsleiters): „Frauen dürfen nur die Plätze kriegen, die die Männer übriglassen.“ So deutlich allerdings wird das sonst selten gesagt. Meist wird schlicht behauptet, Mädchen seien für diese oder jene Ausbildung „nicht geeignet“.
Die Folge: Knapp drei Viertel der Jugendlichen, die 1987 in Bremerhaven ohne Ausbildungsplatz blieben, waren Mädchen trotz im Schnitt besserer Schulabschlüsse. Und von den 1,7 Millionen Jugendlichen, die nach Berechnungen der Bund -Länder-Kommission für Bildungsplanung bis zum Jahr 2000 ohne Ausbildung bleiben, werden zwei Drittel - über eine Million - junge Frauen sein.
Aber auch die Perspektiven derjenigen, die schließlich doch einen Ausbildungsplatz finden, sind oft alles andere als rosig. Denn gerade junge Frauen werden in erheblichem Umfang fehlausgebildet: Sie erlernen frauentypische Berufe, in denen viel mehr Menschen ausgebildet werden, als jetzt und künftig im Beschäftigungssystem untergebracht werden können. Das gilt für Friseurinnen ebenso wie etwa für Berufe, die mit „-helferin“ oder „-gehilfin“ enden.
Immer noch „wählen“ fast zwei Drittel der jungen Frauen nur zehn Berufe. Neuere Untersuchungen - u.a. der Uni Bremen belegen, daß Mädchen keineswegs „von selbst“ in Frauenberufen landen, in denen die Arbeitsplätze unsicherer, die Gehälter niedriger und die Aufstiegschancen geringer sind als in vergleichbaren „Männerberufen“. Den jungen Frauen wird vielmehr kaum etwas anderes angeboten; und Mädchen akzeptieren (fast) jede sich bietende Lehrstelle, um nur überhaupt eine Berufsausbildung zu erhalten.
Die Untersuchungen belegen noch eine weitere Tatsache: Bekanntlich gibt es rund 390 Ausbildungsberufe, die für beide Geschlechter geeignet sind. Nur ein winziger Bruchteil davon kommt im üblichen Berufswahlunterricht vor, und das zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die SchülerInnen - notgedrungen - längst geschlechtsspezifisch festgelegt haben. Mädchen (und Jungen) er
halten also viel zu spät viel zu wenig Informationen für eine der wichtigsten Entscheidungen in ihrem Leben.
Darunter leidet oft auch das Betriebspraktikum, das SchülerInnen probeweise mit der betrieblichen Wirklichkeit konfrontieren soll. „Im Praktikum waren die Jungs auf dem Bau, und hinterher ist darüber geredet worden“, erzählt eine Schülerin - sie selbst kommt in ihrem Bericht gar nicht vor. Sie hat ihr Praktikum in einem Blumengeschäft absolviert und dort vor allem den Fußboden geputzt; darüber ist nichts zu berichten. Arroganz der (ökonomischen) Macht, fehlerhafte Lehrpläne, Hilflosigkeit und Überlastung von BeraterInnen viele Lokomotiven ziehen die Mädchen auf das berufliche Abstellgleis. Seit Jahren ist bekannt, mit welchen Mitteln die Situation gebessert werden kann; wenig wurde bisher angepackt.
So ist etwa die Diskussion um die Ausbildungsabgabe im Sande
verlaufen. Mit diesem Geld, zu dessen Zahlung alle Betriebe verpflichtet wären, die nicht oder nicht hinreichend ausbilden, könnten viele überbetriebliche Ausbildungsplätze geschaffen werden. Oder die Öffnung der gewerblichen und technischen Berufe für Mädchen: Der Teufelskreis aus „Leider nehmen wir nur männliche Bewerber“ (Betrieb) und „Das kann ich ja sowieso nicht“ (Frauen) ist durch die Modellversuche nicht dauerhaft durchbrochen worden. Mit Ausnahme von Audi und - auch in Bremen - MBB gibt es kaum Ausbildungschancen für die wenigen Mädchen, die sich in diesen Arbeitsfeldern mit Recht - zukunftsträchtige Jobs mit Weiterbildungschancen versprechen.
Auch die Quotierung der Ausbildungsplätze im öffentlichen Dienst hat in den privatwirtschaftlich organisierten Betrieben nichts bewirkt. Nach wie vor hören wir die absurdesten Argumente, wenn Unternehmen ihre
Bevorzugung männlicher Auszubildender rechtfertigen sollen. Das reicht von „Mädchen können nicht auf Leitern klettern“ bis zur „konstitutionellen Unterleibsschwäche der Frau“ was immer das sein mag. Hier handelt es sich um Glaubenssätze, und Glauben gehört in die Religion.
Die 9. AFG-Novelle enthält einen weiteren Stolperstein für Auszubildende: Berufsausbil dungsbeihilfe soll zukünftig nur
noch gezahlt werden, wenn die Auszubildenden nicht zu Hause wohnen. Auch das trifft Mädchen doppelt; denn ihnen wird seltener erlaubt, ihre Ausbildung in einer fremden Stadt zu absolvieren.
Nur Quotierung kann langfristig dazu beitragen, die geschlechtsspezifische Teilung des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes aufzubrechen.
Barbara Loer, Mitarbeiterin der Gleichstellungsstelle
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