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HÖR KEINEN UNTER VIERZIG

■ „Blue Cheer“ im Quartier Latin

Klar Mann, es geht ums Älterwerden. Alle werden wir immer älter, und obwohl ich erst 23 bin, denk‘ ich schon heute an meine Jugend zurück. Die meisten aber, die ins Quartier Latin getappt sind, sind viel älter als ich, tragen allwissende Bärte zu verfilztem Haupthaaar, Stirnbänder, Fransenjacken und Cowboyhüte. Wilde Brüder sind das hier, Biker und arbeitslose Lehrer. Männer sind mindestens in dreifacher Überzahl. Vorhin beim Pinkeln hat einer hinter meinem Rücken die Schüssel vollgekotzt, „Feelin‘ Blue“, fast jeder hat sich vollgeknallt.

Im Sitzen fühlt man sich gleich älter, also setz‘ ich mich auf so 'ne komische Bank, die ansonsten als Fremdkörper gelten und während der Konzerte lästig im Weg stehen. Die Band kommt auf die Bühne. Was für eine Erscheinung! Dicki Peterson, das Urmitglied von Blue Cheer, Baß und Gesang, klein aber deftig, urwüchsig wie ein Kaktus, eine dichte wilde Muppetfrisur hängt sich in sein sympathisches Gorillagesicht. Dieser Mensch ist in Ehren ergraut. Altes Rock'n'Roll-Tier! Es ist der Boogeyman, der hier seine Rente einspielt. Seine Fans heben die Bierflasche zum Gruß.

Der Alte hat nichts verlernt, lokker baumelt sein riesiger, mit Klebestreifen zusammengehaltener Baß vor seinem gedrungenem Körper, und er knallt bauchfellzerreißende Töne in den Alkoholdunst. Es riecht nach Magenbitter. Auch der Schlagzeuger ist alt und (vielleicht deswegen) gut, solide, spielt auf zwei Standtoms knochentrocken Wüstensound, der heißen Wind in die Kakteen bläst. Blues'n'Boogie, Mann. Bam Bam. Jetzt fehlt noch der Schlangenbiß, aber der Gitarrist ist nicht alt oder jung genug dafür, spielt häßliche Iron -Maiden-Heavy-Metall-Läufe und hält technische Virtuosität für das Größte. (Technische Virtuosität ist jedoch nur nützlich, um die Ausdrucksmöglichkeiten am Instrument zu erweitern - was vor allem beim Speed-Metall vonnöten ist -, und nicht, um dieses vorzuführen.) (danke. sezza) Hat zu wenig Gefühl'dieser Mensch, zu wenig Blues, steht krampfhaft in der Gegend und läßt nur seinen Fingern Spielraum. Zu cool, zu klar, zu kontrolliert, das ist weder Schlangenbiß noch Magenbitter. Das krasse Gegenteil zu Boogeyman Peterson, der auch mal mit geballter Faust in die Saiten langt und seinen Baß über die Monitorbox zieht (oh yeah, wat forn affekt, mann. sezza). (Hier wird einem augenscheinlich vorgeführt, wie nahe sich Blues und Funk doch sind.) Sie spielen Summertime Blue und den Hootchie-Kotchie -Man. Es ist kaum auszuhalten, der magersüchtige Gitarrensound macht das mühsam angetrunkene „Feelin‘ Blue“ kaputt, dabei weiß heute jeder 19jährige, wie eine anständige Blues-Rock-Gitarre zu klingen hat.

Danach, im Blockshock (60s/70s-Party), pumpten mir die herzhaften Gitarrenklänge von den Stooges, Stones und Steppenwolf frisches Blut in die müden Beine. Mit anständigen Teenagern bis in die frühen Morgenstunden abgerockt. Der Nachhauseweg war wie damals, als ich noch nicht wußte, daß man älter wird (la paloma oheeeeee... sezza).

Volkert Lüke

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