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Ab sofort West-Dioxin aus Schöneiche (DDR)

■ Neue West-Berliner Giftmüllverbrennungsanlage bei Schöneiche vor den Toren Berlins geht in Probebetrieb / Dioxin-Emissionen und Grundwasserverseuchung durch giftige Verbrennungsrückstände vorprogrammiert / Anlage wäre in West-Berlin nicht genehmigungsfähig

Frischgepflügte Felder, dichter deutscher Wald: Am Rande eines Landschaftsschutzgebietes, 20 Kilometer südlich von Berlin wird ab dieser Woche der West-Berliner Giftmüll verbrannt: PCB-verunreinigtes Altöl, schwermetallverseuchte Schlämme, Bleifarben, Abfälle der chemischen Industrie sollen neben dem Naherholungsgebiet am Galluner Kanal verfeuert werden.

Bis April 1989 soll der Probebetrieb dauern. Dann wird die von West-Berlin gebaute und finanzierte Sondermüllverbrennungsanlage (SVA) bei Schöneiche der DDR übergeben. 15.000 Tonnen Westgift jährlich, so steht es im Vertrag, wird die DDR bis 1994 dort verbrennen. Dann muß neu verhandelt werden.

Die Anlage ist eine sichere Devisenquelle für die DDR. So sicher, wie die schweren Umweltschäden, die sich die DDR damit eingehandelt hat. Schon jetzt ist abzusehen, daß ein Teil des angelieferten Giftes ins Grundwasser sickern wird.

Läge der Bauplatz diesseits der Mauer, dann wäre längst ein Baustopp verhängt worden.

Kontrolle ausgeschaltet

Doch vor solchen Unannehmlichkeiten und Verzögerungen sind die westlichen Finanziers und Bauherren und die östlichen Betreiber der Anlage gefeit. Klagen vor Verwaltungsgerichten, Großdemos von Bürgerinitiativen, Kontroll-Auflagen durch Umweltbehörden wird es in Schöneiche nicht geben, Verwaltungsgerichte existieren in der DDR nicht. Kritische Presseberichte, Bürgerinitiativen und Planfeststellungsverfahren, die schon manches umweltbelastende Großprojekt in der Bundesrepublik zu Fall brachten, sind im realsozialistischen Staat nicht vorgesehen.

Dumpingpreise

Kein Wunder, daß West-Berlins Müllsenator Wronski (CDU) so begeistert über die reibungslose, schnelle „Lösung“ des West -Berliner Giftmüllproblems ist, daß er am liebsten auch noch eine Hausmüllverbrennungsanlage in die DDR bauen würde.

Während andere Bundesländer auf ihrem Giftmüll sitzen und Preise bis zu 3.500 Mark pro Tonne bezahlen, um den Sonderabfall überhaupt noch loszuwerden, hat West-Berlin sein Müllproblem bequem gelöst: Für nur 40 Mark pro Tonne nimmt die DDR fast jeden Dreck, den West-Berlin produziert.

Bei der Giftmüllverbrennungsanlage Schöneiche werden vor allem die Stoffe, die nach der Verbrennung übrigbleiben, die DDR vor unlösbare Probleme stellen. Der West-Berliner Senat hat der DDR ein veraltetes Filtersystem angedreht, bei dem Unmengen von Kalk eingedüst werden, um die Schadstoffe zu binden. Absurde Folge ist, daß rund 50 Prozent des verbrannten Sondermülls als hochgiftiger Reststoff übrigbleibt.

Keiner für Umweltschutz

zuständig

Nach bundesdeutschem Umweltrecht müßte das Kalk -Schadstoffgemisch in eine Untertagedeponie. In Schöneiche wird man den Reststoff einfach auf die normale Hausmülldeponie neben die Anlage kippen. Dort gibt es weder Schutz vor dem Regenwasser, noch eine Basis-Abdichtung. Mit Sickerwasser werden die Giftstoffe ins Grundwasser gelangen. „Als verantwortlicher Mensch kann man das nicht hinnehmen“, sagt der Vertreter der West-Berliner Umweltbehörde, der wie viele Mitarbeiter des Umweltsenates ein Gegner des Projekts in Schöneiche ist. Nur, für Schöneiche fühlt sich eben niemand dort verantwortlich. Für Müll ist Betriebssenator Wronski zuständig.

Der will aber auch nicht verantwortlich sein, denn, so sein Sprecher Adam: „Die ordnungsgemäße Entsorgung des Reststoffe ist alleine Sache der DDR.“ Daß es in der DDR keine geeigneten Sonder- oder Untertagedeponien gibt -, dafür sei der Senator nicht zuständig. Zwar steht im Abfallgesetz, daß der Müll nur exportiert werden darf, wenn im anderen Land die ordnungsgemäße Entsorgung sichergestellt ist, doch der Senat hat vorgesorgt: Man hat sich von der DDR eine Pauschalerklärung geben lassen, in der die DDR bestätigt, daß ihre Müllentsorgung „ordnungsgemäß“ ist.

Kontrolliert wird das natürlich nicht. Umweltdaten sind in der DDR per Gesetz Geheimsache. Deshalb wird auch niemand erfahren, wieviel Dioxin und andere Schadstoffe demnächst aus dem Schornstein der SVA Schöneiche kommen. Zwar hatte Erich Honecker bei seinem Besuch in der Bundesrepublik eine Übermittlung der Emissionsdaten von Schöneiche zugesichert, doch bei dieser Willensbekundung ist es bis jetzt geblieben. Nach Auskunft des Wronski-Sprechers Adam haben bislang noch keine Verhandlungen über einen Meßdatenaustausch stattgefunden.

Bei der Umweltbehörde ist man dennoch optimistisch, hat doch Umweltsenator Starnick schon im letzten Winter Ausbreitungsberechnungen anfertigen lassen. Selbst wenn die Filter nicht funktionieren, werde nur sehr wenig Gift in West-Berlin ankommen, ist in der Umweltbehörde zu erfahren. „Wir haben ja zum Glück nicht immer Südwind“, hält Starnick als Trost für beunruhigte West-Berliner bereit.

Protest aus der DDR

Die Anwohner der Anlage und die Umweltgruppen aus der DDR, die Starnicks Erklärung im West-Fernsehen verfolgen konnten, fanden dies wenig beruhigend. Im April dieses Jahres fand in einer Kirchengemeinde in Mittenwalde eine Anwohnerversammlung statt, bei der auch Vertreter der DDR -Betreiber erschienen. Bis zur Inbetriebnahme, so sicherte der Vertreter der staatlichen Betreibergesellschaft INTRAC den Versammelten zu, werde eine sichere Lagerungsmöglichkeit für die Reststoffe gefunden werden. Tatsächlich fordert die DDR nun vom West-Berliner Senat den Bau einer Sicherheitsdeponie. Bisher hat es allerdings nur erste Vorgespräche gegeben. Bis zur Fertigstellung der Deponie wird es noch lange dauern.

Mit den Auswirkungen des West-Berliner Giftexportes in die DDR befassen sich mittlerweile auch Ökologen aus der UdSSR. Als sich am vorletzten Wochenende Ökogruppen aus der DDR und der Sowjetunion in Ost-Berlin zum 5. Ökologieseminar trafen (taz berichtete), war die Sondermüllverbrennungsanlage Schöneiche eines der wichtigsten Diskussionsthemen. Zum Abschluß verfaßten 16 Umweltgruppen aus der DDR und zwölf Ökoaktivisten aus Riga einen Brief an die Verantwortlichen in der DDR und im West-Berliner Senat. Gefordert wird ein zusätzliches, modernes Naßfiltersystem und die sichere Lagerung der Verbrennungsrückstände. Die Deponie Schöneiche müsse saniert, die Bevölkerung über die Auswirkungen der Anlage informiert und die Emissionsdaten veröffentlicht werden. Man hoffe, so schließt die Resolution, „daß alle ihre Verantwortung wahrnehmen und die Anlage nach dem neuesten Stand der Technik in Betrieb gehen lassen und betreiben“.

Susanne Schloth

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