Neue Nachdenklichkeit an der Startbahn

Erstmals keine Demonstrationen zum 7.Jahrestag der Hüttendorfräumung / Hessens Innenminister Milde will Gedenkstätte für getötete Polizisten errichten / Prozeß gegen Hoffmann und Eichler beginnt vermutlich Anfang 1989  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - In Mörfelden-Walldorf kursieren keine Flugblätter, Plakate wurden nicht geklebt, und auch die Gerüchteküche vor Ort kocht nur auf schwacher Flamme. Die Bürgerinitiative gegen die Flughafenerweiterung Rhein-Main verzichtet erstmals seit 1982 auf Kundgebungen und Demonstrationen zum Jahrestag der Räumung des Hüttendorfes der StartbahngegnerInnen am 2. November 1981. Daß sich StartbahngegnerInnen heute um 18 Uhr auf dem Mörfeldener Dalles zum Protest gegen den Startbahnbau treffen wollen, ist keine Nachricht, die von der Bürgerinitiative verbreitet wurde. Unter der Überschrift: „Völkermörder/ Kriegsstrategen“ vermelden Unbekannte seit Wochen auf der taz-„Wiese“, daß „nichts vergessen“ sei und daß man sich auf dem Treffpunkt Dalles versammeln müsse. Die Bürgerinitiative hat jetzt öffentlich davor gewarnt, diesem Aufruf Folge zu leisten. Innerhalb der BI weiß keiner, wer diese Anzeigen geschaltet hat.

Dennoch: „Alle Demonstrationen in der Vergangenheit sowie in der Zukunft hatten und haben an diesem Tag ihre Berechtigung“, erklärt die BI-Sprecherin Helga Arnold. Die brutale Räumung und Besetzung des Hüttendorfes im Flörsheimer Wald, die bei den Menschen aus der Region „tiefe Wunden“ hinterlassen habe, sei immer der historische Hintergrund für die Aktionen und Demonstrationen der Bürgerinitiative gewesen. „Und in diesem Zusammenhang steht die Tat vom 2. November '87 - die Todesschüsse an der Startbahn West - ohne jedes Verhältnis zum politischen Inhalt und der bisherigen Entwicklung von Protest und Widerstand an der Startbahn 18 West.“

Die tödlichen Schüsse an der Startbahn somit als Zäsur für den ohnehin schon bröckelnden Widerstand gegen ein umweltzerstörerisches Großprojekt, das von der absoluten Mehrheit der Bevölkerung längst als Alltagserfahrung akzeptiert ist? Die StartbahngegnerInnen haben sich in ihrer überwiegenden Mehrheit von den Todesschüssen distanziert, die den Polizisten Eichhöfer und Schwalm das Leben kosteten. Das Entsetzen über die Bluttat im Startbahnwald war und ist groß. Zu den Sonntagsspaziergängen wurde seit einem Jahr nicht mehr gesondert aufgerufen. Und dennoch versammelten sich Sonntag für Sonntag Menschen vor Ort, um friedlich ihren Protest gegen diese Startbahn, von der im Minutenabstand die Düsenjets abheben, zu demonstrieren oder

-wie es ein Pfarrer aus der Region ausdrückte - um „Trauerarbeit“ zu leisten. Trauer über die Zerstörung der Natur und Trauer über die Eskalation der Gewalt.

Doch die „neue Nachdenklichkeit“ vor allem des bürgerlichen Flügels der Bewegung wird von der „Gegenseite“ nicht honoriert. Ohne Sensibilität für die Gefühle der Menschen in der vom Fluglärm gebeutelten und von weiteren Ausbauplänen der Flughafen AG bedrohten Region erklärte der hessische Innenminister Gottfried Milde (CDU), daß nur „das konsequente und offensive Einsatzkonzept der Polizei“ weitere „Störungen und unfriedliche Aktionen“ verhindert habe. Die „niedriger gewordene Schwelle für das Einschreiten der Polizei und das erklärte Ziel der Landesregierung, keine Rechtsbrüche zu dulden“, hätten zu einer erheblichen Verunsicherung und Ratlosigkeit bei den „sogenannten autonomen und gewaltbereiten Gruppen“ geführt. Doch das sehen selbst die uniformierten Männer der Praxis anders. Für den Pressesprecher der Frankfurter Polizei, Hans Neitzel, haben die tödlichen Schüsse „alles verändert“: „Seit den Morden haben wir an der Startbahn keine Gewalt mehr zu verzeichnen.“ Und wo früher an jedem Wochenende 200 bis 300 Polizisten im Einsatz waren, stünden heute nur noch 20 bis 30 Beamte Wache. Obgleich die „Gegner des Großprojektes“ erstmals am Jahrestag der Räumung darauf verzichtet hätten, zu Protesten vor Ort aufzurufen, werde man heute dennoch „genau nachsehen, ob sich da nicht vielleicht doch fanatische Einzelgänger an der Startbahn einfinden“.

Die Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund will die Polizeifahrzeuge heute bundesweit mit Trauerfloren ausstatten - „zum Gedenken an die ermordeten Kollegen Eichhöfer und Schwalm“. Und die Hanauer Bereitschaftspolizei ist an Innenminister Milde mit dem Wunsch herangetreten, eine im Bau befindliche Sporthalle auf dem Polizeigelände „Klaus-Eichhöfer-Halle“ nennen zu dürfen. Doch der CDU -Minister Milde hat größeres im Sinne: Auf dem Gelände der Polizeischule soll demnächst eine „Gedenkstätte für alle in der Ausübung ihres Berufes um's Leben gekommenen Polizisten“ eingerichtet werden.

Ohnehin hat die Landesregierung im abgelaufenen Jahr wiederholt Öl in das nur noch glimmende Widerstandsfeuer gegossen. Die Spekulationen über einen weiteren großflächigen Ausbau des Rhein-Main-Flughafens reißen nicht ab. Und ausgerechnet zwei Tage vor dem Jahrestag der Hüttendorfräumung wollte Verkehrsminister Alfred Schmidt (FDP) nicht mehr länger ausschließen, daß eine dritte Start und Landepiste auf dem Flughafen gebaut wird, falls mit den US-Amerikanern eine Einigung über die Nutzung eines Teils der Air-base erzielt werden könne. Das wäre dann der wohl größte Affront gegen eine Bürgerinitiative, die zur Verhinderung dieser Startbahn West alle Register des zivilen Ungehorsams und des praktischen Widerstandes gezogen hat und deren Mitglieder dafür über Jahre hinweg mit Polizeiknüppeln, Wasserwerferfontänen und Tränengas traktiert worden sind. Von der Bürgerinitiative werden deshalb die Versuche der Bundesanwaltschaft, die gesamte Bewegung - nach den Todesschüssen an der Startbahn - zu „liquidieren“, in einen Kontext mit den Ausbauplänen der Flughafen AG gestellt: „Jeder weitere Widerstand soll unterbunden und unmöglich gemacht werden.“ Doch die BI hat bereits angekündigt, daß sie diesem weiteren Ausbau nicht tatenlos zusehen wird. „Unser politisches Anliegen, die Verhinderung der Flughafenerweiterung, ist ein Eintreten für menschliche Lebensbedingungen: keine Startbahn West, Wiederaufforstung, generelles Nachtflugverbot von 22 Uhr bis 6 Uhr, keine weiteren Ausbaumaßnahmen.“

Der Prozeß gegen die von der Bundesanwaltschaft des Mordes und des versuchten Mordes an Polizisten in jeweils zwei Fällen angeklagten Andreas Eichler und Frank Hoffmann wird voraussichtlich Anfang 1989 vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt eröffnet werden. Sowohl Eichler als auch Hoffmann haben bislang versichert, die tödlichen Schüsse auf die Polizeibeamten nicht abgefeuert zu haben. Allerdings habe Eichler, nach Angaben der Bundesanwaltschaft, erklärt, daß ihm Hoffmann die Waffe zugesteckt habe. Sie wurde noch in der Nacht nach der Bluttat bei Eichler gefunden. Bis zu Prozeßbeginn soll ein spezieller Verhandlungssaal hergerichtet werden, in dem dann - neben Eichler und Hoffmann - sieben weitere Männer und Frauen auf der Anklagebank sitzen werden. Ihnen wirft die Bundesanwaltschaft die „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ vor, der Andreas Eichler als „Rädelsführer“ vorgestanden haben soll. Während sich Eichler bereits seit dem 3.November '88 in U-Haft befindet, sitzt Hoffmann noch immer in den Niederlanden ein. Hoffmann wurde im März '88 in Amsterdam per Zufall verhaftet. Am 8.November soll jetzt der „Hohe Rat“ - das höchste Gericht der Niederlande - abschließend über ein Auslieferungsersuchen entscheiden. Ein für Amsterdam zuständiges Gericht hatte bereits im Juni das Auslieferungsersuchen der bundesdeutschen Behörden positiv beschieden. Hoffmanns Anwalt Bakker Schut will vor dem „Hohen Rat“ für seinen Mandanten „politische Motive“ ins Feld führen, um dessen Auslieferung an die BRD noch im letzten Augenblick zu verhindern. Nach niederländischem Recht darf eine Person, die wegen politisch motivierter Straftaten gesucht wird, nicht ausgeliefert werden.