piwik no script img

Natur ist von Natur aus giftig

Das vom Bundesgesundheitsamt angekündigte Verbot von etwa 2.500 Naturheilmitteln führt zu Protesten bei Produzenten und Naturheilern: Laboruntersuchungen seien wegen der extremen Konzentration der Mittel zweifelhaft und kein Beweis für die Gefährlichkeit / Gesundheitsamt bürdet den Herstellern Gegenbeweis auf  ■  Von Petra Dubilski

Berlin (taz) - Kein Kaffee, kein Alkohol, keine Zigaretten, und die kleinen bunten Produkte der Pharmaindustrie erst recht nicht. Gesundheitsbewußte ZeitgenossInnen trinken Kräutertee, gurgeln bei Halsweh mit Pflanzensud und schlucken bei allen möglichen Unpäßlichkeiten Kräuterextrakte. Damit ist es jetzt aus und vorbei: denn die Natur ist von Natur aus giftig.

Das stellte rechtzeitig zur anstehenden Gesundheitsreform jedenfalls das Bundesgesundheitsamt (BGA) fest. Circa 2.500 Naturheilmittel sollen auf der Basis „vorliegender Unterlagen und Erkenntnisse“ leberschädigende (hepatotoxische) und krebserregende (cancerogene) Wirkstoffe mit dem zungenbrecherischen Namen „Pyrrolizidinalkaloide mit einem 1,2-ungesättigten Necin-Gerüst“ beinhalten und somit verboten werden. Ausgenommen bleiben homöophatische Zubereitungen mit einer geringeren Konzentration als 0,1 ppm, also 0,1 mg pro Kilogramm „Pflanzenmaterial“.

„Kein Arzneimittel und auch kein Naturheilmittel kann von vorneherein als unbedenklich angesehen werden“, konstatierte so zutreffend wie beschwichtigend Bundesgesundheitsministerin Süssmuth angesichts zahlreicher Proteste aus der Bevölkerung. In der Tat ist zuviel oder falsch zubereitet jedes Mittel giftig. Selbst die alkaloidhaltige Kartoffel wird gefährlich, wenn sie in ihre chemischen Bestandteile zerlegt, und die in großen Mengen eingenommen werden.

Wie jeder Pharmakologe weiß und in der Natur Programm ist, verhindert erst das Zusammenspiel einzelner Bestandteile eine Giftwirkung im Sinne des isolierten Einzelstoffes. Das ist in chemischen Substanzen ebenso der Fall wie in Heilpflanzen. Um die Toxizität einzelner Stoffe zu überprüfen, werden sie zwangsläufig aus ihrem Zusammenhang herausgelöst und entsprechen somit nicht mehr einem heilkräftigen Wirkstoffkomplex.

Die cancerogene Wirkung von Pyrrolizidinalkaloiden (pa) ist bereits seit mehreren Jahren kein Geheimnis mehr. Das Institut für Arzneimittel des BGA gab 1982 eine Studie heraus (Danninger, Hagemann, Schmidt und Schönhöfer: Zur Toxizität pyrrolizidinalkaloidhaltiger Arzneipflanzen), die unmißverständlich auf die Gefahren dieses Wirkstoffes hinwies. Allerdings kam auch zum Ausdruck, daß der Alkaloidgehalt in verschiedenen Pflanzenteilen wie auch in den unterschiedlichen Pflanzen verschieden hoch und zudem Schwankungen unterworfen ist. Die Frage der Grenzdosis ist dort nicht eindeutig beantwortet.

Auch die neueren Untersuchungsergebnisse, auf die das BGA sich jetzt stützt, lassen laut Fachverband Deutscher Heilpraktiker (DH) einige Zweifel an den Untersuchungsmethoden aufkommen. Zum Beispiel die Überdosierung: Versuchstieren wird zwangsweise ein bis zu 32prozentiger Futteranteil an pa-haltigen Pflanzen verabreicht, da sich Ratten bereits ab einem 15prozentigen Anteil an Huflattich (eine der vom BGA inkriminierten Pflanzen) dem Futter verweigern. Die Carcinombildung wurde erst kurz unterhalb der tödlichen Dosis (Letaldosis 50) beobachtet. Eines der vom BGA in Auftrag gegebenen Gutachten, kritisiert der DH weiter, kommt dann auch zu dem Schluß, daß die „angebliche lebercarcinomatöse Wirkung des Huflattichs auf entzündlicher, nicht auf genverändernder Wirkung beruhe, also schlicht durch die Überfütterung hervorgerufen“ sei. Zudem verabreichte man den Tieren außer den Pflanzen auch isolierte Pyrrolizidinalkaloide in einer Dosierung, die beim Menschen einer Dosis von etwa 700 mg pro Tag entsprechen würde. Das ist eine Menge, die in natürlichen Heilmitteln niemals vorkommt, es sei denn, man esse an einem Tag einen Heuschober voll Huflattich.

Der Sinn jeglicher Pflanzentherapie liegt jedoch gerade in den kleinen Dosen. Selbst Schlangengift wird in homöopathischer Verdünnung als Heilmittel verabreicht. Kein Mediziner oder Heilpraktiker käme auf den Gedanken, daß Schlangengift harmlos und daher auch pur im Wasserglas zu verabreichen sei.

Ein medienwirksamer Anlaß für das BGA, die Gefährlichkeit von Heilpflanzen anzuprangern, war der Fall der Huflattichtee trinkenden Schwangeren, deren Neugeborenes starb, angeblich aufgrund der toxischen Wirkung des Tees. Allerdings sind hier Unsauberkeiten in der Schlußfolgerung festzustellen. In den Zeitungsberichten ganz versteckt, wurde auch bemerkt, daß die Frau halluzinogene Pilzdrogen konsumierte, die leberzerstörende Wirkung besitzen; ob bis kurz vor oder auch während der Schwangerschaft, spielt beim langsamen Abbau solcher Substanzen nur eine geringe Rolle.

Bevor das BGA jedoch zum radikalen Schritt eines Verbots schreitet, hat es rund 1.100 Firmen aufgefordert, den Wirksamkeitsnachweis ihrer Naturheilmittel zu erbringen oder auf deren Zulassung zu verzichten. Auf diese Weise soll die Überprüfung des Risiko-Nutzen-Verhältnisses gewährleistet werden, begründet das BGA diesen Schritt. Kurz, der Unschuldsbeweis obliegt dem Angeklagten. Zwar beruhigt Frau Süssmuth die um ihren täglichen Kräutertrank bangenden BürgerInnen, daß die Zukunft dieser umstrittenen Mittel weiterhin gesichert sei, betont aber gleichzeitig, daß bis 1990 für diese ein Antrag auf Neuzulassung beim BGA gestellt werden müsse. Das bringt die Heilpflanzenhersteller in Zugzwang, denn zuvor müssen sie ja die Wirksamkeit ihrer Mittel beweisen. Erfahrungswissen läßt sich jedoch nicht wissenschaftlich belegen, und die pharmakologischen Untersuchungsmethoden sind aus oben angeführten Gründen nicht dazu geeignet, die ganzheitliche Wirkweise der Pflanzen zu definieren.

Auf Erfahrungswissen greifen jedoch nicht nur gesundheitsbewußte Menschen zurück, sondern auch solche, denen der Zugriff auf andere Medikamente nicht mehr so leicht gemacht wird. Das wäre in der Tat der Fall, wenn im Zuge der geplanten Gesundheitsreform chemische Arzneimittel nicht mehr so billig zu haben sind. Da greift so mancher lieber zum preiswerteren Hausmittel. Das weiß auch die Pharmaindustrie. Ein Verbot von Heilpflanzen könnte dementsprechend ein durchaus wirksames Heilmittel für den dann drohenden Umsatzverlust der Chemiefabriken bedeuten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen