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Algerien stimmt über Verfassungsreform ab

Staatspräsident Chadli ruft heute zur Volksabstimmung auf / Seine Macht soll beschränkt werden / Regierungschef soll nur noch dem Parlament verantwortlich sein / Referendum als Reaktion auf die Oktoberrevolte / Reform des politischen Systems? / Neue Organisationen blühen auf / Zweites Reformpaket bereits angekündigt  ■  Aus Paris Georg Blume

Entpuppt sich Algeriens Staatspräsident Chadli Bendjedid doch noch als afrikanischer Gorbatschow? Man hatte ihn, dem aufgrund seines diplomatischen Geschicks hohes internationales Ansehen zuteil wurde, vor seinem Volk stets als zunehmend einsilbigen und durchsetzungsschwachen Herrscher beschrieben. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Keine vier Wochen nach den blutigen Aufständen, bei denen über 500 Demonstranten der Armee zum Opfer fielen, ruft Chadli die Algerier heute zum Plebeszit auf. Das Volksreferendum soll über eine Verfassungsreform entscheiden. Doch bei dieser Wahl, deren Ergebnis sich kaum überprüfen lassen wird, steht nur ein Mann im Vordergrund, der die Wähler mit ihrer Stimmkarte um Vertrauen bittet: Bendjedid, den die Oktoberrevolte scheinbar wachgerüttelt hat.

Chadli erreichte in vier Wochen, was ihm während seiner bisherigen achtjährigen Amtszeit nie gelingen wollte: Die Reform des politischen Systems. Parteipolitischer Pluralismus sei eine „Möglichkeit“, verkündete erst am Montag Abdelhamid Mehri, der zu Gnaden Chadlis neueingesetzte Parteichef der algerischen Einheitspartei FLN (Front de Liberation Nationale). Die algerische Perestroika schlägt in diesen Tagen ihre ersten Wurzeln.

Dabei hält der Druck von unten stand. „Den Kindern des Oktobers, gestorben für die Würde und die wahren Ideale des Novembers“ - einen Kranz mit dieser Aufschrift legten annähernd tausend Demonstranten zum Jahrestag der algerischen Unabhängigkeit am 1.November am Krankenhaus Mustapha in Algier nieder. Neue Organisationen sind in den letzten Wochen aufgeblüht, die sich der Vormacht der Partei endgültig entziehen wollen. Algerische Ärzte gründeten ein „provisorisches Komitee“ unter dem Schlagwort: „Nein zur Folter“. Bereits am kommenden Montag wollen sie eine „Nationale Koordination“ als Vorstufe einer autonomen Berufsorganisation ins Leben rufen. Den Ärzten folgten die Studenten, die ein „Universitätskomitee für die Demokratie und gegen die Repression und die Folter“ gründeten. Und auch die Frauen haben vor wenigen Tagen eine eigene Organisation gegründet. Schließlich meldeten sich achtzehn „historische“ FLN-Führer zu Wort, die in einem Brief die „Einrichtung einer demokratischen Kultur in Algerien“ forderten, „die den Algeriern die freie Wahl ihrer Repräsentanten überlasse“. Das heutige, bereits kurz nach den Unruhen angekündigte Referendum soll die Macht des Präsidenten beschränken und die Regierungsgeschäfte fortan einem Premierminister übertragen, der nur noch gegenüber dem algerischen Parlament Rechenschaft abzulegen hat. Chadli, dem innenpolitisch nunmehr die Funktion eines Vermittlers zwischen Volk und Staat zustehen soll, hat im Anschluß an die heutige Abstimmung bereits ein zweites Reformpaket vorgesehen. Darin sichert er zu, daß „freie Kandidaten, ob sie der FLN angehören oder nicht, bei allen Wahlen die Chance zum Wahlkampf haben“. Weiter schreibt Chadlis Reformvorschlag die Trennung zwischen „sozialer und beruflicher Organisation auf der einen, und der Partei auf der anderen Seite“ fest. Auf ihrem Parteikongreß im Dezember soll die FLN diese Reformen verabschieden, damit sie dann erneut dem Volk in einem zweiten Referendum, vorgelegt werden können.

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