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„Ein deutscher Staatsbürger namens Hempel ...“

Hempels Weihnachtsgeschenk an die indischen Atomiker vom Dezember 1983 war nur einer von zahlreichen Transfers: Insgesamt mehrere hundert Tonnen Schwerwasser sowie große Mengen Spaltmaterial wurden innerhalb der vergangenen 15 Jahre von seinem weitverzweigten Firmengeflecht (vergl. taz vom 25.8.88.) unter Umgehung der internationalen Kontrollsysteme weltweit verschoben. Nachdem er bereits in den frühen Siebzigern über Partner in Luxemburg den Israelis sowjetische D2O-Quellen erschlossen hatte, belieferte er später über seine Genfer Strohfirma Adero-Chemie die verfeindeten Staaten Pakistan und Indien (taz v. 13. 10.). Seit Beginn der achtziger Jahre versorgte Hempels Orda AG dann Indien, Argentinien und Südafrika mit Schwerwasser und auch Spaltstoff aus der VR China. Alle diese Kunden-Länder haben den Atomwaffensperrvertrag bis heute nicht ratifiziert. Besonders Hempels Uran-Lieferungen nach Südafrika und Argentinien wurden argwöhnisch von den Geheimdiensten der USA und Großbritanniens beäugt. So sprach beispielsweise am 14.August 1981 der Geschäftsträger der Bonner US-Botschaft persönlich in Genschers Auswärtigem Amt in Sachen Hempel vor: Die Amis hatten spitz gekriegt, daß Hempel in den nächsten Tagen 60 Tonnen leicht angereichertes Uran aus dem kommunistischen China in den Rassistenstaat am Kap verschieben wollte. Diese - später tatsächlich gelieferte - Menge machte immerhin zwei Drittel der Erstbeladung für Südafrikas eben fertiggestellten Koeberg -Reaktor aus, der bald darauf in Betrieb ging. Doch Bonn sah keine Möglichkeit der Einflußnahme auf die dubiosen Geschäfte des deutschen Kaufmannes. Auch im Außenministerium der Schweiz waren US-Emissäre an jenem 13.8.88 vorstellig geworden. Die Eidgenossen kündigten an, mit der Orda zu sprechen und „sie auf die Konsequenzen dessen hinzuweisen, was sie tun“. Dies müsse jedoch sehr vorsichtig geschehen, kabelten deutsche Beobachter aus Bern nach Hause. Schon Monate vorher, im Mai 1981, hatte der Brüsseler Euratom -Direktor Davis von einer dienstlichen China-Reise die Information mit nach Hause gebracht, „ein deutscher Staatsbürger namens Hempel“ treibe sich neuerdings im Reich der Mitte auf der Suche nach Uran-Geschäften herum.

Hempels politische Rückendeckung

Viel drängender als die lückenlose Rekonstruktion des Hempelschen Verschiebe-Puzzles ist die Frage, welche politische Rückversicherung Hempel für seine Bombengeschäfte genoß. Daß die Hempel-Männer potentiellen Bombenaspiranten in der Dritten Welt über Jahre hinweg bei der Umgehung des Atomwaffensperrvertrages zur Hand gehen konnten, ohne daß dies in Moskau oder Bonn aufgefallen wäre, ist bei den sich allmählich abzeichnenden Ausmaßen ihrer Schwarzmarktgeschäfte schlicht unvorstellbar. Die sowjetischen Stellen wußten wohl, daß es für derartige Mengen D2O, wie Hempels Orda sie bezog, in der Schweiz selbst kaum Bedarf gab. In Geheimdienst- und diplomatischen Kreisen wird denn auch der Verdacht gehandelt, die UdSSR sei von Hempel keineswegs betrogen worden, sondern habe diesen vielmehr benutzt, um dem Bündnispartner Indien Schwerwasser für dessen unkontrollierte Atomanlagen zufließen zu lassen. Auch an der Scheinheiligkeit, mit der die norwegische Regierung jetzt 'Betrug‘ schreit, sind vorsichtige Zweifel erlaubt: Nach Gerüchten aus Oslo soll Norsk Hydro bereits im Februar 1979 schriftlich von Hempel Auskunft über den Endverbleib einer D2O-Lieferung zwei Jahre zuvor angemahnt haben. Der Verdacht war aufgekommen, das Material könne in Pakistan gelandet sein. Sollten diese Gerüchte zutreffen, dann mußte man in Oslo gewußt haben, um was für Gesellen es sich bei den Hempel-Männern handelte.

Bonn wußte seit

Jahren Bescheid

Die Bonner Bundesregierung, so geht aus internen Akten hervor, muß seit Jahren über Hempels Geschäfte im Bilde gewesen sein. Alle Geschäfte, so redete sich denn auch Hempel-Geschäftsführer Helmut Swyen letzte Woche vor dem Untersuchungsausschuß heraus, seien von den zuständigen Bundesbehörden abgesegnet, „bei Gelegenheit auch mit dem Wirtschaftsministerium diskutiert“ worden, zu dem ständig „Kontakt gehalten worden ist“. (Über die Geschäfte des schweizerischen Firmenablegers Orda verweigerte Swyen allerdings jede Auskunft; sie sei eine eigenständige Firma in Hempels Privatbesitz; als Geschäftsführer der Düsseldorfer Alfred Hempel GmbH sei er mit ihr nicht befaßt. In einem Firmenprospekt wird die Orda allerdings als Teil des Hempel-Imperiums vorgestellt.)

Den Verdacht auf mögliche Interessen-Konstellationen zwischen Bonns Atom-Politik und Hempels Schiebereien nährt ein Blick auf dessen strategische Position im bundesdeutschen Atom-Business. 1973 konnte das „mittelständische Handelsunternehmen“ (Swyen) einen bis ins nächste Jahrtausend reichenden Exklusivvertrag über sowjetische Urananreicherungs-Dienstleistungen an Land ziehen. Damit hatte Hempel ein profitables Monopol ergattert: Ob bundesdeutsche AKW-Betreiber oder die Hanauer Nukem ihre Brennstäbe in der UdSSR anreichern lassen Hempel verdient automatisch mit. Umfang der strahlenden Provisionsgeschäfte: 200 Millionen Mark pro Jahr!

US-Monopol geknackt

„Mit Unterstützung der Bundesregierung“, so erläuterte Geschäftsführer Swyen letzten Freitag dem Bonner Ausschuß, sei der lukrative Agentur-Vertrag zustande gekommen. Leider mochte keiner der Abgeordneten nachbohren, wie sich denn diese „Unterstützung der Bundesregierung“ dargestellt habe.

Bonns Interessenlage jedenfalls ergab sich aus der damaligen atom-politischen Situation in Europa: Einige europäische Nicht-Kernwaffen-Staaten, vorneweg Belgien und die BRD, versuchten sich allmählich aus der atomaren Abhängigkeit von den USA zu winden. Diese hatten eine sorgsam gehütete Quasi-Monopolstellung bei der Anreicherung von Uran. Hempels Zürcher Orda-Verwaltungsrat Hugelshofer brandmarkt den Verweis auf US-Kritik an dubiosen Deals der Orda als „nackten Nuklear-Imperialismus“. Und Geschäftsfreund Swyen verwies in Bonn auf den „Knebelvertrag“, mit dem die USA seinerzeit die westeuropäische Atomindustrie gewürgt und um ein Haar die Anreicherungsanlage der Urenco im holländischen Almelo verhindert hätten. Daß ein findiger Düsseldorfer Gemischtwarenhändler (Hempels Spezialitäten waren bis dahin Schleifbänder, Schweißpulver und Skibindungen) Anfang der siebziger Jahre einen exklusiven Zugang zu östlichen Anreicherungs-Dienstleistungen eröffnete, die noch dazu billiger als die westliche Konkurrenz ausfielen, muß Teilen der westdeutschen Atomgemeinde ebenso attraktiv erschienen sein wie den politischen Machthabern. Bleibt die Frage nach der Gegenleistung.

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