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Wir sind nicht frei

■ Auf die dumme Rede von einer „Gnade der späten Geburt“ hat die Rechte kein Monopol

Klaus Hartung

Daß der Mord an den Juden kein Anlaß für ein Wortspiel sein darf, steht nicht in Frage; daß „gaskammervoll“ nicht als Adjektiv benutzt werden kann, um ein Gedränge in einer Szenekneipe zu beschreiben, auch das steht wohl nicht in Frage. „Eigentlich“ bei niemandem in der taz. Es ist nicht „taz-Konsens“ ( welch ein Wort!); es ist pure Selbstverständlichkeit. Aber, schon die bloße Feststellung, daß dies hier nicht in Frage stehe, beweist das Gegenteil. Selbstverständlichkeiten, die beschwört werden müssen, die als „Grundkonsens“ formuliert werden, sind nicht mehr selbstverständlich. Beschämend, an der Stelle, an der extreme sprachliche Genauigkeit alltäglich sein müßte, bestenfalls einen mittleren Nenner präsentieren zu wollen.

Noch einmal: Niemand hat explizit die Formulierung verteidigt, niemand hat einen Begriff der grenzenlosen Freiheit des Wortes bei diesen Formulierungen eingeklagt. Der bittere Streit, ein Streit immer an der Grenze der Verdunklung aller Streitpunkte, ging um Konsequenzen. Erschütternd war nicht nur, daß es in der taz RedakteurInnen gibt, die solche Formulierungen durchlassen; erschütternd war vor allem die Verteidigung der Verantwortlichen. Die Art der Verteidigung hat dann zum Entschluß geführt, eine Kündigung zu beantragen. Über das Kündigungsbegehren selbst will ich nicht viele Worte verlieren. Ich halte es für selbstverständlich, daß bei einem gründlichen Vertrauensverlust gegenüber Kollegen auch die Möglichkeit der Kündigung offenstehen muß: sonst wäre die Idee einer persönlichen Verantwortung leer, würde Selbstverwaltung in trüber Beliebigkeit, in einem wurstigen Liberalismus enden.

Drei Verteidigungslinien

Die Art der Verteidigung ist hier das Thema. Drei Linien wurden sichtbar, auch wenn sie sich ständig verwirrten. Einmal wurden - hier von Vertreterinnen der jüngsten Generation in der taz - die Argumente schlicht mit Methoden abgewehrt, die wir von unseren Nazi-Eltern kennen. Leugnung der Bedeutung, Erklärung mit Zufällen des Produktionsgangs, Ausflüchte beliebiger Art, Anklagen gegen andere, Reaktionen des Sich-taub-Stellens, wo moralisches Betroffensein gespürt wird, Nicht-Akzeptieren von Beschämung, Unterstellung, daß es denjenigen, die sich da aufregen, doch um etwas ganz anderes gehe.

Die zweite Verteidigungslinie ist vielleicht noch bedrückender: Abwehr moralischer Empörung mit dem Vorwurf des Moralismus, der Tabuierung. Ihr wollt die Sauberen sein, deswegen opfert ihr uns; ihr wollt ein Moralkodex, deswegen sollen wir dafür bezahlen. Wir hingegen kennen keine Tabus. Kurz: ein Freiheitsbegriff, dessen Quelle das Ressentiment ist, Ressentiment gegen das vermeintlich Bürgerliche. Bürgerlich ist demnach alles, was Haltung, Sorgfalt, Skrupel, Achtung betrifft. Tabuisierung des Anti-Tabus, Fetischisierung der Provokation. Die ressentimentgeladene Abwehr gegenüber dem Gesichtspunkt der Verantwortung bei dem, was veröffentlicht wird, das heißt an die Öffentlichkeit geht, machte die Diskusion qualvoll und zerstörerisch. Es war nicht mehr möglich, tatsächlich über Sprache zu reden, darüber, daß es eine sprachliche Verantwortung gibt, wenn die Ermordeten der Gaskammern zum Wortspiel freigegeben werden.

Angesichts der Zähigkeit der Verteidigung muß auf eine Tendenz geschlossen werden. Es scheint, daß es eine Generation von Linken, von linken Schreibern gibt, die den moralischen Druck der nationalsozialistischen Vergangenheit, die unberherrschbare, die gegebene Befangenheit nicht mehr wollen. Sie reiben sich nicht wirklich an einem offiziellen Anti-Faschismus, sie nehmen sich nur ihre Freiheit, diesen Punkt ausreizen zu dürfen. Da sie ganz sicher sein können, die Sensibilität anderer treffen zu können, haben sie hier den bequemsten Weg zur eigenen Unbefangenheit. Auch hier wird von links die Gnade der späten Geburt gewollt. Die Linke steht bis zum Hals in Moral, gegenüber der Dritten Welt, gegenüber den Palästinensern, gegenüber den Frauen, gegenüber den Ausgegrenzten, gegenüber den Opfern; sie sieht sich unendlichen Heeren von Opfern gegenüber. Also wird aus der Vergangenheit ausgebrochen, um einen Teil selbstverursachter Opferkultur abzuwerfen.

Und drittens: Der antibürgerliche Affekt, das epatez le bourgeois, die Suche des zu verletzenden Tabus dort, wo die Verletzungen am größten ist, verbindet sich mit etwas anderem. Wird die Tabuverletzung nicht akzeptiert, wird angesichts der Verhöhnung der Opfer Verantwortung eingeklagt, dann ist man unmittelbar selbst Opfer. Ein freier Mitarbeiter protestiert jetzt per Aushang gegen die Konsequenzen, die beschlossen wurden. „Bis zur Vergasung habe ich mich in den vergangenen acht Jahren bemüht, aufrührerische Artikel und Beiträge in der taz zu plazieren.“ Jetzt verlangt er auch „Schreibverbot“ für sich, oder wenigstens ein „kleines Hausverbot“, denn wie stände er jetzt vor seinen Freunden da. Das Modell dieses Artikels ist der historische Brief von Oskar Maria Graf an Goebbels, der sich beklagt, daß seine Bücher nicht mit verbrannt wurden. Wenn die routinierte Tabuverletzung nicht akzeptiert wird, wenn der lockere Umgang mit den Opfern auf Widerstand trifft, dann ist man selbst sofort Opfer. Aus einem Kündigungswunsch wird „Schreibverbot“, also eine Vernichtung der beruflichen Existenz, wie sie die Nationalsozialisten praktizierten; man sieht sich sofort bei der Vorstufe der Bücherverbrennung, der Säuberung, der Vernichtung. Müßig, eine solche Haltung wegzuargumentieren. Eine grenzenlose Verluderung, mit der hier sich Linke reales Leid, Existenzvernichtung und Tod als Kostüm zunutze machen für ihre eigenen kleine Kreuzigungsszenarien. Gegenüber den Opfern unbefangen oder selbst Teil der deutschen Opferkette; linke Larmoyance oder fetzige Aufmacherei, Opferlust oder Verhornung, zwei Seiten einer Medaille!

Linker Antsemitismus? Ein vielleicht zu subtiles Konzept. Zwischen sprachlichem Übel und realem Totschlag gibt es immerhin einen Unterschied, einen lebenswichtigen Unterschied. Ein Schluß, banal genug: Wir stecken alle noch, mit welchen Teilen unserer Person auch immer, im Faschismus. Wehren ab, fühlen uns getroffen, sind taub oder wütend, gehässig oder apathisch im Namen dieser Vergangenheit. Wir gebrauchen nationalsozialistische Begriffe, um unsere Gegner zu treffen, um etwas politisch zu klären, um uns zu verteidigen. Wir sind nicht frei. Freiheit entspringt nur, wenn wir das akzeptieren. Das ist die Chance unserer Generation. Es kommt alles darauf an, aus dieser Erkenntnis kein psychologisches Phänomen zu machen, sie nicht zu einer Ontologie der Nachgeborenen verkommen zu lassen. Ein Kodex wäre absurd. Aber wie wäre es mit der Bereitschaft, sich auch öffentlich schämen zu können und persönliche Verantwortung für Beschämendes zu übernehmen?

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