Schwandorf wird Müllhauptstadt

Erörterungstermin zur Erweiterung des Müllkraftwerks / Schon jetzt sind gesundheitliche Konsequenzen zu verzeichnen / Wichtige Unterlagen fehlen / Einwender unterbrachen Erörterung  ■  Aus Schwandorf Bernd Siegler

„Das ist ja schlimmer als bei der WAA.“ Mit Empörung registrierten die Gegner der geplanten Erweiterung des Müllkraftwerks Schwandorf, das schon jetzt zu den größten Müllverbrennungsanlagen in Europa zählt, wie Betreiber und Genehmigungsbehörde den „Rechtsstaat pervertieren“. Nach acht Verhandlungstagen beendeten die Einwender am Donnerstag abend den Erörterungstermin und forderten die Regierung der Oberpfalz auf, die Erörterung erst dann fortzuführen, wenn alle Unterlagen vollständig vorliegen.

Während der Bau eines Müllheizkraftwerks im oberpfälzischen Neumarkt endgültig geplatzt ist, wird Schwandorf zur Müllhauptstadt ausgebaut. Schon seit Jahren steht das Müllkraftwerk (MKW), das auf eine Kapazität von 450.000 Tonnen Müll pro Jahr erweitert werden soll, im Schatten der im Bau befindlichen WAA. Erst als der Zweckverband Müllkraftwerk Schwandorf (ZMS), in dem sich neun Landkreise und fünf kreisfreie Städte zusammengeschlossen haben, den geplanten Bau einer vierten zusätzlichen Ofenlinie bekanntgab, begann sich Widerstand zu regen. 110 Ärzte beklagten die Zunahme von Atemwegserkrankungen im Landkreis, die Gegner engagierten einige bereits aus der WAA-Erörterung bekannte Sach- und Rechtsbeistände. Damit machten sie die Hoffnungen der ZMS-Vertreter zunichte, die Erörterung der insgesamt 2.000 Einwendungen werde reibungslos über die Bühne gehen.

Schon zu Beginn der Erörterung rügten die MKW-Gegner die mangelhaften Unterlagen aus dem Planfeststellungsantrag, die insgesamt nur 91 Seiten stark waren. Eine Beschreibung der geplanten Rauchgasreinigungsanlage fehlte darin ebenso wie Daten zur Vorbelastung von Böden und Luft der Region, Waldschadens- und Gesundheitsstatistiken. Nur auf ihren massiven Druck hin wurde der Einwenderseite Einblick in den sogenannten Betriebsüberlassungsvertrag zwischen dem ZMS und den Vereinigten Aluminiumwerken (VAW) als Betreiber des Müllkraftwerks gewährt. Demnach hat sich der Zweckverband verpflichtet, jährlich mindestens 310.000 Tonnen Müll zu verbrennen und daraus die Garantiemenge von 650.000 Tonnen Wasserdampf für das VAW, einen der größten Arbeitgeber Schwandorfs, zu produzieren.

Für den Münchener Rechtsanwalt Werner ist mit dieser Regelung eine Atmosphäre geschaffen worden, „betrieblich nicht nur ein, sondern beide Augen zuzudrücken, wenn etwas schief läuft“. Aus einer rigiden Kontrolle und Überwachung des MKW-Betriebs könnten dem ZMS sogar finanzielle Nachteile entstehen. So ist es kein Wunder, daß zum Beispiel der sogenannte „Notabwurf“ von heißen Schlackebrocken aus zehn Metern Höhe mittlerweile fast schon zum Normalbetrieb gehört. Erika Ernst, Anwohnerin des Kraftwerks, hat deswegen Strafanzeige wegen Körperverletzung und Verletzung von Umweltbestimmungen gestellt.

Nicht nur „erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers“, sondern auch der fehlende Entsorgungsnachweis erinnert Prof. Weiß von den Grünen an die WAA. Die Matthias-Zeche, auf der bisher die Filterstäube und Schlacken gelagert werden, ist voll. Im Sickerwasser, das in die nahe Naab fließt, fanden sich schon jetzt stark erhöhte Blei- und Cadmiumwerte. Weiß wies zudem nach, daß die Betreiber bezüglich der vorgeblichen Ungiftigkeit von Quecksilber-Sulfid sich lieber an populärwissenschaftliche Chemie-Lexika halten als an internationale Vorschriften. Er ließ offen, ob es sich dabei um „Inkompetenz oder bewußte Täuschung“ handle.

Die Vertreter des ZMS wurden zunehmend nervöser, als Ekkehart Krüger vom Umweltinstitut München vorrechnete, daß mit der Erweiterung des Kraftwerkes trotz neuer Rauchgasreinigung die absolute Schadstoffbelastung der Luft in der Region Schwandorf weiter zunehme. Als dann ZMS -Vertreter vorher geheimgehaltene Garantiewerte von Rauchgasreinigungsanlagen aus der Tasche zogen, weigerten sich die Einwender, weiter zu erörtern. „Wir wußten schon immer, daß Schwandorf ein Sumpf ist“, resümierte Rechtsanwalt Werner, „doch das hier hat unsere kühnsten Erwartungen übertroffen“. Erörterungsleiter Ritter will nun das weitere Vorgehen prüfen. Er hat den Beteiligten zumindest noch einen Termin zur Erörterung der Dioxin -Thematik zugesichert.