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Desillusionierung an der Westbank

Reaktionen der Palästinenser nach den Wahlen in Israel / Intifada wird ungebrochen weitergehen / Nach dem Sieg des Likud sind die Illusionen dahin / Auch die Arbeiterpartei hatte nichts wesentlich verändert  ■  Aus Jerusalem Beate Seel

Sanft schwingen die Hügel bis zum Horizont. Im Schatten eines Olivenhaines am Straßenrand kauert eine Gruppe von Frauen und Kindern. Weiße Plastiksäcke, gefüllt mit frisch gepflückten Früchten, lehnen an den Baumstämmen. Niedrige Mäuerchen aus hellem Feldgestein ziehen ihre Muster an den Hängen und halten die schwere rote Erde zusammen. Dazwischen immer wieder Geröllfelder mit Felsbrocken, die erst mühsam zur Seite geschafft werden müssen, ehe das Land bearbeitet werden kann. Kein Wunder, daß die Steine zum Symbol der Intifada, des palästinensischen Aufstands in den israelisch besetzten Gebieten, geworden sind.

„Die Intifada wird weitergehen, bis wir unsere Ziele erreicht haben“, sind Worte, die bei den Palästinensern in der Westbank immer wieder fallen, ganz unabhängig davon, wie die Ergebnisse der israelischen Parlamentswahlen im einzelnen eingeschätzt werden. Mahmoud zum Beispiel ist einer, der den Aussichten einer rechten Koalitionsregierung unter der Führung des Likud-Blocks wenig abzugewinnen vermag. Er unterrichtet an der palästinensischen Universität von Bir Zeit, die seit Juli wie alle Bildungseinrichtungen in der Westbank geschlossen ist und hatte auf einen Sieg der Arbeiterpartei unter Shimon Peres gehofft. „Ich glaube nicht, daß die Arbeiterpartei uns innerhalb der nächsten vier Jahre den Frieden gebracht hätte“, meint er und gibt damit eine weit verbreitete Auffassung wieder. „Aber sie hätte in der israelischen Gesellschaft die psychologischen Grundlagen gelegt, die eine Lösung in der Zukunft überhaupt erst ermöglicht hätten, zum Beispiel, was die Haltung zur PLO anbelangt. Früher hat Peres jedwede Gespräche rundheraus abgelehnt, heute sagt er, wenn die PLO den Terrorismus aufgibt und die UNO-Resolutionen 242 und 338 anerkennt, (die unter anderem das Recht aller Staaten der Region, also auch das Israels, auf sichere Grenzen festschreibt, d. Red., dann sei es nicht mehr die PLO.“ Von einer Likud-Regierung im Bündnis mit kleinen nationalistischen und religiösen Gruppen erwartet er nur Schlechtes: eine Verschärfung der Repression in der Westbank und dem Gaza-Streifen, eine verstärkte internationale Isolierung Israels, die alle möglichen Folgen haben könnte: Wie wird zum Beispiel Syrien regieren? Wird es zu einem neuen „Blitzkrieg“ kommen?

Während Gläser mit stark gesüßtem Tee die Runde machen, gesellt sich ein Nachbar zu uns. Auch er unterrichtet in Bir Zeit, auch er hätte einen Sieg der Arbeiterpartei vorgezogen. Aber Mahmoud geht ihm nun doch etwas zu weit. „Man darf nicht vergessen, daß auch Verteidigungsminister Rabin Mitglied der Arbeiterpartei ist. Damit trägt Peres die volle Verantwortung für alles, was in diesem Jahr in den besetzten Gebieten geschehen ist: die Toten und Verletzten, die Festnahmen, die Zerstörung der Häuser, die Ausweisungen. Letztendlich stellen die beiden großen Parteien für uns nur zwei Seiten einer Medaille dar. Sicher gibt es Unterschiede. Likud sagt klar, was er will, Peres versucht, zu taktieren und uns mit seinen diplomatischen Manövern, die letztendlich auf eine Unterstützung der USA abzielen, Sand in die Augen zu streuen. Aber für mich besteht der wichtigste Unterschied zwischen beiden in der Siedlungspolitik. Wenn Shamir die nächste Regierung bildet, eine Koalition mit religösen und noch weiter rechts stehenden Gruppen eingeht, dann werden neue Siedlungen gebaut werden.“ Und in der Tat hat der amtierende Ministerpräsident bereits die Errichtung neuer Siedlungen in der Westbank und dem Gaza-Streifen angekündigt.

Mahmoud lenkt ein: „Sicher, auch die Arbeiterpartei ist gegen eine Zwei-Staaten-Lösung. Aber gerade weil die Arbeiterpartei eine größere internationale Unterstützung genießt, wären die Dinge hier vielleicht in Bewegung geraten.“ So weit gehen wie die PLO-Führung, die das Wahlergebnis als „tödlichen Schlag für den Frieden bezeichnet hat, möchte er noch nicht. „Wie auch immer die neue Regierung aussehen wird, wird sie sich internationalem Druck ausgesetzt sehen. Jetzt müssen wir erst einmal abwarten, was für eine Regierung zustande kommt und welches Programm sie vorlegt. Später am Abend, zu Gast bei einer palästinensischen Familie in einem Nachbardorf, stellen sie die Dinge ganz anders dar. Der Familienvater ist gerade nach einem zweiwöchigen Gefängnisaufenthalt freigelassen worden. Verwandte, Freunde und Nachbarn tröpfeln nacheinander in den Salon. Allgemeines Gesprächsthema: Die Wahlergebnisse in Israel, die in den besetzten Gebieten wohl noch nie auf ein derartiges Interesse gestoßen sind. „Der Sieg des Likud ist für uns eine gute Sache“, kommentiert der Besitzer eines Lebensmittelgeschäfts. „Damit sind die Illusionen, die die Arbeiterpartei geweckt hat und auf die Arafat eingestiegen ist, ein für allemal vom Tisch.“ Unter „Illusionen“ versteht auch er das Taktieren von Peres, das Liebäugeln mit der sogenannten jordanischen Option, die eine Einigung zwischen Israel und Jordanien oder einer gemeinsamen jordanisch -palästinensischen Delegation im Rahmen internationaler Verhandlungen vorsieht. Ein Liebäugeln, das auch Palästinenser, die auf einen Sieg der Arbeiterpartei gehofft hatten, durchaus mit kritischen Augen sehen. König Hussein hat hier nicht viele Freunde, seit Beginn des Aufstands sind es noch weniger.

„Kurzfristig wird die Politik gegenüber der Intifada unter einer Likud-Regierung sicher noch härter werden, aber damit wird auch der Aufstand weiter eskalieren. Langfristig gesehen kann jedoch selbst ein Shamir das nicht durchhalten. Auch er wird eines Tages begreifen, daß eine sogenannte Autonomie für die Palästinenser keine Lösung ist. Und dann wird er sich etwas anderes einfallen lassen müssen, weil sonst der internationale Druck auf Israel, der USA und des UNO-Sicherheitsrates, zu stark wird, und das kann Israel sich nicht leisten. Die Schadenfreude über die Niederlage der Arbeiterpartei ist deutlich auf dem Gesicht des Geschäftsmannes und der Gäste in der Runde abzulesen. Einer der jungen Besucher, der in Israel mit Gelegenheitsjobs sein Geld verdient, gibt mir zum Abschied mit auf den Weg: „So wichtig ist es für uns nun auch wieder nicht, wer in Israel regiert. Wichtig ist nur eins: Die Intifada wird weiterhehen, bis unser Ziel erreicht ist und die israelischen Truppen abgezogen sind!“

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