: Auflauf vor dem Burgtheater. Der Kampf geht weiter
Erwartet worden war eine Großdemonstration vor dem Burgtheater von aufgebrachten Bürgern, Premierenpublikum, das sich im Schutz der Polizei in das Haus am Ring flüchete, und eine trotzige kleine Minderheit, die sich für die Freiheit der Kunst stark machte. Doch es kam anders. Am Freitag feierten Direktor Claus Peymann und der Autor Thomas Bernhard einen Triumph über das österreichische Spießbürgertum und dessen Hausblatt 'Kronenzeitung‘. Mit der Veröffentlichung von Textpassagen aus dem Stück Heldenplatz in der 'Kronenzeitung‘ Anfang Oktober hatte das vorerst letzte Kapitel des Kulturkampfes in Österreich begonnen.
Bernhards Stück ist nach dem Platz benannt, auf dem die Wiener Bevölkerung am 15.März 1938 den Anschluß an das Deutsche Reich feierten. Bernhard läßt den jüdischen Professor Schuster, der aus der Emigration heimgekehrt ist, Sätze sagen wie: „Das Österreichische Volk besteht aus sechseinhalb Millionen Debilen“ oder „Der Bundespräsident ist ein lügender Banause“. Der Pawlowsche Reflex war eingeplant und kam prompt. Konservative Politiker meldeten sich zu Wort und nahmen den Kampf auf.
Allen voran der Bundespräsident. Ohne den Text im Zusammenhang zu kennen, sprach Waldheim von einer „Verhöhnung des österreichischen Volkes“. Der Kultursprecher der konservativen Volkspartei rief zum Publikumsboykott auf, und der Vorsitzende der braun angehauchten FPÖ, Jörg Haider, forderte mit einem Karl-Kraus-Zitat: „Fort mit dem Schuft.“ Offenbar um zu erfahren worüber er sich so errege, bat Haider eine Woche vor der Premiere in einem persönlichen Brief Peymann um Freikarten für die Uraufführung. Ein Begehren, daß der Burgtheaterdirektor mit dem Hinweis beschied, Haider möge sich wenigstens selber treu bleiben und den Publikumsboykott, zu dem er ebenfalls aufgerufen hatte, befolgen.
Nach einigem Zögern bezog die sozialdemokratische Kultusministerin Hawlicek Stellung. Sie verteidige die Freiheit der Kunst, versicherte sie Thomas Bernhard in einem Brief, um an anderer Stelle anzumerken, sie hätte das Stück so nicht geschrieben. Allein die Grünen standen uneingeschränkt zu Peymann und der geplanten Aufführung.
In den Redaktionen der 'Kronenzeitung‘ und der 'Presse‘, die sich nicht ganz so stark des Antisemitismus als Werkzeug in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung bedient, wurde inzwischen der Kopf des Burgtheaterdirektors gefordert und Bernhard nahelelegt, das Land doch zu verlassen. Letzten Freitag schließlich, am Tag der Premiere, versuchte die 'Kronenzeitung‘ mit der Schlagzeile „Burgtheater unter Polizeischutz“ den Eindruck von massiven Protesten zu erwecken. Es kam nicht dazu. Ob es die Temperatur am Gefrierpunkt war oder die Überreizung des Themas, ließ sich Freitag abend nicht festestellen.
Nur rund 200 Menschen versammelten sich vor dem Theater. Die Gegner der Aufführung, in feines Loden gekleidet, waren weit in der Minderheit. Die Mehrheit, unter ihnen Schriftsteller wie Elfriede Jelinek und Gerhard Roth, demonstrierte für die Freiheit der Kunst.
Der Mitbegründer der „Aktion Vorbild Österreich“ - Motto: „Christlich, Patriotisch, Mutig“ - und Organisator der Protestaktion, Karl Steinhauser, verschwand bald, nachdem er und seine Mitstreiter eine Ladung Kuhmist auf dem Gehsteig abgeladen hatten. Nach Beginn der Aufführung löste sich die Ansammlung in kleine heftig diskutierende Gruppen auf, um in den umliegenden Kaffeehäusern zu verschwinden, und die wenigen Polizisten zogen mit ihren Sperrgittern ebenfalls ab.
Auch im Haus kam es nicht zum befürchteten Eklat. Eine lautstarke Minderheit störte die Aufführung mit Zwischenrufen und Trillerpfeifen, wurde aber vom Großteil des Publikums niedergezischt. Die Aufführung kam nie in die Nähe eines Abbruchs. Ungewollt ironischer Höhepunkt war das Entrollen der österreichischen Fahne auf der Stehplatzgalerie mit dem Ruf „Gott schütze Österreich“, was mit Gelächter quittiert wurde. Zum Schluß feierten die Zuschauer und das Ensemble Regisseur und Hausherren Peymann sowie den Autor Bernhard mit halbstündigem Applaus und Hochrufen.
Die Auseinandersetzung rund um den Heldenplatz sind die vorerst letzten Zeichen eines gesamtgesellschafltichen Konflikts der im Kulturbereich besonders offensichtlich wird. Gegenstand der Auseinandersetzung ist das österreichische Selbstverständnis, das durch den Wahlkampf des heutigen Bundespräsidenten Waldheim vor zwei Jahren ins Wanken kam. Bis dahin hatte sich das offizielle, in Schulen und von Politikern aller Lager vermittelte Nationalbewußtsein durch die Rolle Österreichs als Opfer des Nationalsozialismus definiert.
Mit der Wahl Waldheims und der Durchleuchtung seiner Vergangenheit wurde der jahrzehntealte nationale Konsens des Verdrängens in Frage gestellt. Als Reaktion auf die Wiederaufarbeitung der Vergangenheit formierte sich eine Koalition aus Nationalsozialisten, Österreich -nationalistischen Konservativen, verunsicherten jungen Aufsteigern, die für sich die Gnade der späten Geburt reklamieren, und einer ungebrochen latent antisemitischen Kleinbürgerklasse.
Was vor der Wahl Waldheims wohl für Aufregung, nicht aber zum Anlaß für Fremdenhaß und Antisemitismus geworden wäre, wird heute zum Reizwort für das fragwürdig gewordene Nationalbewußtsein und den damit verbundenen Werten, die überkommen geglaubt schienen: Vaterland, Heimat, Kirche, Pflicht, Ehre und Anstand, schließlich Respekt. Erstes Kulturopfer dieser Bewegung war im Sommer '87 Georg Tabori bei den Salzburger Festspielen.
Bei einer von ihm inszenierten Aufführung in einer Kirche war ein nackter Schauspieler auf der Bühne Anlaß, das Stück nach Protesten von Politikern, die es durchweg nicht gesehen hatten, abzusetzen. In diesem Frühjahr folgte die Auseinandersetzung um Burg-Theaterchef Peymann, der in einem 'Zeit'-Interview zu einem Rundumschlag gegen Gott und die Welt (sich eingeschlossen) ausgeholt hatte. Kaum verdeckter Fremdenhaß auf den „Piefke“ Peymann war die Folge. Wie im Fall Tabori und Heldenplatz hatte so gut wie keiner der Kritiker sich selbst ein Bild gemacht, sondern ungefragt die Meinungsmache, vor allem der 'Kronenzeitung‘, übernommen. Die nächste Spitze der Fieberkurve folgte im Sommer. Anlaß diesmal war die geplante Errichtung eines Mahnmals des Bildhauers Alfred Hrdlicka gegen Krieg und Faschismus in der Wiener Innenstadt. Nach dem Konflikt um den Heldenplatz ist die nächste Zuspitzung im Kulturkampf bereits sicher: Ende des Monats wird das Mahnmal Hrdlickas aufgestellt werden. Mit der Hetze der 'Kronenzeitung‘ ist zu rechnen.
Das Blatt lieferte vor der Premiere einen weiteren Beweis für die Österreichische Unfähigkeit der Aufarbeitung des Faschismus: In einem Eigeninserat, auf dem das Burgtheater in Flammen zu sehen ist, heißt es: „Uns ist nichts zu heiß.“ Veröffentlicht wenige Tage vor dem fünfzigsten Jahrestag des Novemberpogroms.
Oliver Lehmann
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