: Maggie privatisiert weiter
■ Sogar privat gebaute Gefängnisse im Gespräche / Als nächstes sind die E-Werke dran
London (dpa) - Mit ihren weitreichenden Privatisierungsprojekten stellt Premierministerin Margaret Thatcher schon jetzt die Weichen für ihren vierten Wahlsieg
-voraussichtlich 1991. Zwar haben die Tories seit dem ersten Sieg 1979 Staatsbetriebe in einem Ausmaß privatiseirt wie wohl in keinem anderen Land der Welt. Aber die Projekte und Pläne, die derzeit diskutiert werden, stellen alles Bisherige in den schatten.
Der industrielle Bereich dürfte mit dem anstehenden Verkauf des Stahlkonzerns British Steel praktisch abgeschlossen sein. Nun soll auch der staatliche Einfluß in der Energiewirtschaft und der Verkehrswirtschaft zurückgedrängt werden. Seit Maggie Thatchers Regierungsantritt vor fast zehn Jahren wurden rund 40 Staatsunternehmen in Privathand überführt, darunter 18 große Konzerne wie British Aerospace (Luft- und Raumfahrt), British Gas (Energie), Telecom (Fernmeldebereich) und die Fluggesellschaft British Airways. Das Schatzamt kassierte für den Verkauf 20 Milliarden Pfund, gut 62 Milliarden Mark.
Die dürften allein durch den angestrebten Verkauf der Elektrizitäts-Wirtschaft übertroffen werden. Mit Vermögenswerten von 37 Milliarden Pfund (rund 117 Milliarden DM) handelt es sich nach Angaben des Energieministers Cecil Parkinson um die größte Privatisierungsaktion, die es jemals gegeben habe.
Politisch und ideologisch ist aber die „Entstaatlichung“ des Kohlebergbaus weitaus bedeutsamer. Vor dem Tory -Parteitag gab Parkinson, einer der engsten Vertrauten der Regierungschefin, kürzlich das „historische Versprechen“ ab, die Kohle nach einem Wahlsieg der Tories Anfang der neunziger Jahre zu privatisieren.
Die Überführung der staatlichen Kohlegesellschaft in Privatbesitz hat Symbolcharakter, stellte doch die Übernahme des Kohlebergbaus durch den Staat nach dem Zweiten Weltkrieg den krönenden Abschluß der Verstaatlichungspolitik der damaligen Labour-Regierung dar. Den Triumph, den die Sozialisten und Gewerkschaften damals in der Verstaatlichung sahen, empfinden nun die Tories bei der Reprivatisierung.
Margaret Thatcher und ihre Gefolgsleute glauben in einem Maße an die Kräfte der Marktwirtschaft und die Effizienz des Einzelnen, wie es wohl in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung einmalig ist. Private Monopole sind schon längst kein Tabu-Gegenstand mehr. British Gas ist verkauft, Telecom ist ohne nennenswerte Konkurrenz.
Industriebetrieb, Häfen, Flugplätze, Wasser- und E-Werke, Sportplätze und Sozialwohnungen - alles steht zum Verkauf. Künftig könnten Straßen und Gefängnisse von Firmen auf eigenen Kosten gebaut und betrieben, Eisenbahn und kommunale Busse in Privathand überführt und heruntergekommenen Stadtviertel mit privaten Geldern wieder aufgebaut werden,
Thatcher hat die wirtschaftliche Landschaft bereits so weit verändert, daß auch die Labour-Opposition zusehends bemüht ist, sich mit den neuen Realitäten abzufinden. Die erneute Verstaatlichung aller privatisierten Betriebe im Falle eines Labour-Sieges ist unmöglich - das weiß auch Partei-Chef Neil Kinnock. Nicht zuletzt, weil inzwischen neuen Millionen BritInnen Aktien besitzen.
Harold Bojunga
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