: Der Welt eine Revolution als Beispiel
Im „freien Volksstaat Bayern“ manifestierte sich nicht der Machtwille, sondern der Wille zur Veränderung der schöpferischen Unruhe, die auf die „geistige Durchdringung“ der Massen setzte / Eine Revolution, die Idee und die Wirklichkeit vereinen sollte, unterlag dem Terror der Freicorps und Noske-Truppen ■ Von Reinhardt Kleinöder
München (taz) - Verblüffend leicht und unblutig begann die bayerische Revolution am 7.November 1910 und sie verlief dann auch in vieler Hinsicht anders als im übrigen Deutschland. Sie war kein Produkt politischen Machtwillens, sondern des Willens zur Veränderung, einer schöpferischen Unruhe. Sie trug eine Eleganz, die sie der Mitwirkung von Intellektuellen, Literaten und Philosophen wie Eisner, Mühsam, Toller, Red Marut und Landauer zu verdanken hat. „Wir wollen der Welt ein Beispiel geben, daß endlich einmal eine Revolution, vielleicht die erste Revolution der Weltgeschichte, die Idee, das Ideal und die Wirklichkeit vereint“, erklärte Kurt Eisner.
Er hatte die Volksstimmung nach vier verheerenden Kriegsjahren und das ganze Ausmaß des Verfalls der alten obrigkeitsstaatlichen Autoritäten voll erfaßt. Die Zeichen standen auf Sturm. Die zaghaft eingeleiteten Schritte zu einer Parlamentarisierung, auf die die SPD-Führung setzte, wurden vom Volk und der königlichen Regierung nicht ernst genommen.
Eisner stellte den Führern der SPD, die diese Revolution gar nicht wollten, die Hälfte der Ministerposten zur Verfügung. Aber im Gegensatz zu Berlin war die Linke durch seine Führungsrolle von vorneherein in einer stärkeren Position. Auch die Bildung von Bauernräten neben den Arbeiter- und Soldatenräten ist ein bayerisches Spezifikum. Eisners politische Konzeption weist den Räten eine fest institionalisierte Aufgabe als „Schule der Demokratie“ neben der Kontrollinstrument des Parlaments zu. Er machte sich damit sowohl bei den rechten Sozialdemokraten als auch bei den die gesamte Macht fordernden radikalen Räteanhängern unbeliebt.
Für Arthur Rosenberg, Autor eines Standardwerks über die Weimarer Republik, ist Eisner der einzige schöpferische Staatsmann der deutschen Revolution. Aber die Geschichte dieser Wochen und Monate kennt noch andere kreative und eigenwillige Köpfe, etwa den Dichter und Dramatiker Ernst Toller, der sich gegen Ende der Räterepublik als Kommandierender einer Einheit der Roten Armee vor Dachau wiederfand. Und den anarchistischen Philosophen Gustav Landauer, bekannt durch seinen Aufruf zum Sozialismus und als Shakespeare-Übersetzer. Landauer hatte in den wenigen Tagen als Volksbeauftragter für Erziehung und Unterricht keine Zeit, seinen Plänen einer weitreichenden Schul- und Hochschulreform Gestalt zu geben. In der Beobachtung einer Landauer-Versammlung durch den Schriftsteller und Zeitzeugen Alfred Wolkenstein kommt zum Ausdruck, in welcher Beziehung die führenden Köpfe - später oft als Bohemiens und Kaffeehausliteraten verspottet - zu den eigentlichen Trägern der Revolution standen: „Sein Versammlungsraum glich einem gespenstisch auf- und absteigendem Meer, darin das Volk bald hilflos unter seinem hochschwebenden Geist hinabsank, bald überlegen an eigener Wirklichkeit die verlorene, große Gestalt überwogte.“ Landauer war mit seinem Freund Eisner nicht nur durch den gemeinsamen jüdischen Glauben mit seiner Heilserwartung und darauf gegründeten Ethik und Menschenbild verbunden; bei aller politischen Verschiedenheit setzten beide auf die „geistige Durchdringung“ der Massen. Landauer wollte ebenfalls keine „Diktatur, sondern die Abschaffung des Proletariats“.
Der riesige Trauerzug nach der Ermordung Eisners (über 100.000 Menschen) war nicht nur der sichtbare Beweis der Achtung gegenüber dieser Symbolfigur der Revolution, sondern auch eine Bestätigung ihrer Notwendigkeit und breiten Resonanz. Heinrich Mann faßte mit seiner Gedenkrede diesen von jedem fühlbaren Aufbruch in einem Satz zusammen: „Die hundert Tage der Regierung Eisner haben mehr Ideen, mehr Freuden der Vernunft, mehr Belebung der Geister gebracht, als die fünfzig Jahre vorher.“ Die Leitfiguren der bayerischen Revolution waren Idealisten, der sich speiste aus einem humanistischen Menschenbild, für das kein Platz war im mechanistischen Gesichtsverständnis der orthodoxen Kommunisten und den Schreibtischsozialisten der SPD. Er war vieleicht eine Ursache ihres Scheiterns, in jedem Fall aber der Grund ihres Gelingens und ihres gewaltlosen Verlaufs.
Mit der Niederschlagung der Räterepublik triumphierte endgültig die Gewalt über den Geist. Landauer wird am 2.Mai im Gefängnis Stadelheim buchstäblich zu Tode getrampelt. Mit der knapp einmonatigen, von Anarchisten und Kommunisten getragenen, reinen Räterepublik wurde in Südbayern im April eine politische Utopie wie sonst nirgendwo im Deutschen Reich realisiert. Aber sie war schon in der Auflösung begriffen, als die von der Hoffmann- und Ebert-Regierung entsandten Freikorps den blutigen Schlußpunkt setzten.
Die Revolution war an der Oberfläche geblieben; der Verwaltungsapparat blieb unberührt, die Militärs konnten sich in der Rolle der Befreier vom Bolschewismus bewähren, die Justiz ließ die rechten Mörder laufen. Die „Ordnungszelle Bayern“ zog rechtsradikale und völkische Gruppen aus der ganzen Republik an, die sich hier unter den Protektion der Behörden fast ungehindert ausbreiten konnten. Dazu zählt auch die NSDAP; ihr Vorläufer, die DAP wurde im Januar 1919, also noch während der Revolution in München gegründet.
In der Vorkriegszeit hatten einige Künstler und Schriftsteller das kulturell aufgeschlosssene München der preußischen Ordnung Berlins vorgezogen; nach der Niederschlagung der Revolution, unter dem Druck von Antisemitismus und braunem Terror, kehrte sich der Trend um und viele flohen nach Berlin. Zur ungehinderten Entfaltung ihrer grandiosen nationalen Phantasie mußten die Nazis in der „Dolchstoß„legende den notwendigen Sturz eines überkommenen Herrschaftssystems und die Kriegsniederlage als hinterhältigen Akt einiger „jüdisch-bolschewistischer Novemberverbrecher“ darstellen. Die Ereignisse in Bayern spielten bei dieser Geschichtsklitterung eine zentrale Rolle. Aber auch historisierende Heimatdichter erschwerten den Zugang zu diesem Geschichtskapitel, indem sie die Revolution in einem Wust von bajuwarischen Anekdoten ertränkten. „Historische Legendenbildung hat die Vorgänge, die sich zwischen November 1918 und Mai 1919 in München abgespielt haben, so rasch und intensiv überwuchert, wie es bei kaum einem anderen wichtigen Ereignis der neueren deutschen Geschichte der Falls war“, schreibt der Kölner Historiker Eberhard Kolb.
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