Gedenkfeiern für die eigene Schuld

Michael Bodemann von der Jüdischen Gruppe zu den Gedenkfeierlichkeiten zur Pogromnacht vor 50 Jahren  ■ I N T E R V I E W

Michael Bodemann, Professor für Soziologie an der Universität Toronto, Kanada, ist zur Zeit Gastdozent an der FU Berlin. Er ist einer der Mitbegründer der Jüdischen Gruppe in Berlin, einem Zusammenschluß von linken Juden aller Altersgruppen. Die Jüdische Gruppe versteht sich als kritischer Gegenpol zur Berliner Jüdischen Gemeinde.

taz: Zur Pogromnacht gibt es zahlreiche Veranstaltungen. Wie nimmst Du das als jüdischer Mitbürger wahr?

Michael Bodemann: Zunächst, ich sehe mich nicht gern als jüdischer Mitbürger, weil diese Floskel doch das Andersartige und in gewisser Weise auch Minderwertige hervorhebt. Bei aller Scheu aber finde ich, man muß ganz klar sagen „Jude“ und nicht „jüdischer Mitbürger“. Ja, der 9.November... Allein in dieser Stadt kann man wohl von Hunderten von Gedenkveranstaltungen sprechen. Das ist gut und gleichzeitig merkwürdig. Vor allem, wenn man sich in Erinnerung hält, daß zu den Jahrestagen 1948, 1958, 1968 so gut wie nichts passierte. Die Nichtjuden in Deutschland gedachten statt dessen etwa der Abdankung des Kaisers am 9.November 1918. Ich hab mal im 'Tagesspiegel‘ von 1948 nachgelesen, da sind nur ganz knappe Notizen zu Veranstaltungen der Jüdischen Gemeinde zu finden. Erst 1978 fängt es plötzlich mit größeren Artikeln an, sicherlich hat da eine neue Generation Einfluß gewonnen, die weniger in das Geschehen von damals invol viert war.

An dem offiziellen Schweigemarsch nimmst Du nicht teil. Warum?

Es ist sicherlich wichtig, wenn Deutsche sich an Gedenkfeiern beteiligen. Das Ganze aber hat nichts mit Juden zu tun, sondern vielmehr mit der Frage, wie kommt man mit seiner Schuld zurecht. Ich gehe nicht mit, weil Juden hier nur gebraucht werden für Dinge, die im Grunde nur die Deutschen angehen. Die Jüdische Gruppe macht statt dessen zusammen mit anderen Initiativen heute eine Veranstaltung an der Gedächtniskirche, um auf heutige Probleme hinzuweisen; daß etwa ein Herr Stoiber sich eindeutig rassistischer Terminologie bedienen kann, daß Flüchtlinge in dieser Stadt übel und rassistisch behandelt werden und daß gleichzeitig mit den Deutschstämmigen eine Art Heim-Ins-Reich-Politik betrieben wird. Bei den ganzen Feierlichkeiten spüre ich ein Unbehagen. Warum die Novemberpogrome und nicht etwa der Aufstand im Warschauer Ghetto? Offensichtlich liegen den Deutschen die Novemberpogrome näher. Juden lassen sich hier als passive Opfer darstellen und nicht, was sie tatsächlich waren, als aktive, rebellierende Menschen.

Wie wäre in Berlin, der ehemaligen Machtzentrale des Terrors, ein solcher Tag angemessen zu begehen?

Angemessen zu begehen in dem Sinne, daß wir uns in Erinnerung rufen: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Wenn die Deutschen ernsthaft was zu den Novemberpogromen machen wollen, dann muß das in der politischen Praxis und nicht im geschichtlichen Gedenken zur Anwendung kommen.

Interview: bim