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Dies ist nicht mein Land

■ Ein Gespräch mit Lea Fleischmann über die Frage „Lieben Sie Deutschland?“, über den Nahostkonflikt, und den Umgang der Deutschen mit der Vergangenheit

In ihrem Buch „Dies ist nicht mein Land“ rechnet die im Nachkriegs-Deutschland aufgewachsene Jüdin Lea Fleischmann mit einem Land ab, in dem sie zur Schule ging, studierte und unterrichtete. Lea Fleischmann wanderte 1979 nach Israel aus und schrieb zwei weitere Bücher: „Ich bin Israelin“ und „Nichts ist so wie es uns scheint“.

taz: 1987 ist ein Buch von Henryk M. Broder mit dem Titel „Ich liebe Karstadt“ erschienen. In dem gleichnamigen Aufsatz versucht Broder, auf die Frage „Lieben Sie Deutschland“ zu antworten. Es folgt ein Rückblick auf ein Land, das er - genau wie Sie - vor Jahren verlassen hat. Und er schreibt: „Ich rege mich nicht mehr (so heftig) auf, aber ich registriere immer noch...“ Was fällt Ihnen heute in Deutschland auf, von dem sie 1980 sagten „Dies ist nicht mein Land?“.

Lea Fleischmann: Ich lebe schon 10 Jahre nicht mehr in Deutschland: Wenn man weg ist, dann entfällt einem auch die Problematik des Landes, man ist mit anderen Problemen konfrontiert. Insofern muß ich sagen: Ich habe mit Deutschland wenig zu tun. Deutschland ist zu einer Randerscheinung in meinem Leben geworden. Was mich hier stört, oder was mich hier nicht stört, ist nicht mehr das Problem, weil ich auch nicht mehr die Absicht habe, jemals wieder zurückzukommen.

In dem Buch „Ich bin Israelin“ schreiben Sie, daß sie in den ersten Jahren jede deutsche Zeitung verschlungen haben....

Wenn Sie in ein fremdes Land kommen, ist es zunächst wie ein Kulturschock. Sie sprechen die Sprache des Landes nicht, Sie können sich nicht ausdrücken, Sie sind zunächst einmal ganz fremd, ganz unabhängig davon, daß ich Jüdin bin. Es dauerte sehr lange, bis ich angefangen habe, israelische Zeitungen zu lesen. Heute lese ich keine deutschen Tageszeitungen mehr. Ich schreibe natürlich deutsch, aber die Themen, die ich behandle, sind israelische, die Menschen hier, die Religionen, Jerusalem. Insofern bekomme ich in Israel Impulse, die ich für mich in eine andere Sprache übersetze. Aber das Schreiben ist auch nicht mehr mein Hauptanliegen. Mein Mann ist Maler (Dudu Barnis) und er malt vor allem Szenen und Menschen aus Jerusalem. Wir haben eine kleine Galerie und ich beschäftige mich hauptsächlich mit der Orga

nisation dieser Galerie.

In „Ich bin Israelin“ schreiben sie fast beiläufig: „Es kommt mir vor, als könne man in Israel leben, ohne den Nahostkonflikt wahrzunehmen“. Stimmt das wirklich?

Sie können in Israel nicht leben, ohne den Nahostkonflikt wahrzunehmen. Es ist der Konflikt, mit dem man sich auseinandersetzen muß. Auf welcher Seite ist man? Der Nahostkonflikt bestimmt das Leben, und es gibt keine einfache Lösung. Aus deutscher Sicht sieht die Lösung viel einfacher aus, man hat viele Rezepte. Die Menschen, die in Israel leben, sind gespalten. Viele wolle die Gebiete zurückgeben, andere nicht. Ich selbst habe Peres gewählt, der für den Gebietsverzicht ist, aber ich kann es auch verstehen, wenn andere Angst haben. Denn wer garantiert uns, daß dann Friede ist?

Letzte Woche war auf der ersten Seite einer Bremer Tageszeitung die Bemerkung zu lesen, daß die Nazis den „Bremer Roland“ für ihre Zwecke mißbraucht haben. Sätze in diesem Tenor liest man in diesen Tagen häufig, sie klingen so, als wenn die Nazis wie Fallschirmspringer über Deutschland hergefallen sind, als hätte es auf der einen Seite die Nazis, auf der anderen Seite die Deutschen gegeben hätte. Ist das die deutsche Art, Vergangenheit zu bewältigen?

Natürlich ist es nicht so, daß die Nazis über Deutschland hergefallen sind. Die Deutschen haben Hitler in den 30er Jahren mit einer überwältigenden Mehrheit gewählt. Er galt als Messias, verkörperte Hoffnung für viele.

Dann passierte das große Unglück aus deutscher Sicht, der Krieg wurde verloren. Kurz darauf wurde vom Neubeginn gesprochen. Aus, fertig. Man dachte, man könne, wenn man die Häuser neu aufbaut, die Geschichte einmauern. Der neue Gott hieß und heißt Wirtschaft. Alles dreht sich ums Geld. Mit derselben Konsequenz, mit der das jüdische Volk vernichtet wurde, drehte sich fortan alles ums Geld. Die Deutschen suchen zwar nach etwas Neuem, aber es gibt nichts Neues, weil das geistige Leben zerstört worden ist.

„Völkermord“ ist im Grunde keine deutsche Idee. Aber die Perfektion, mit der der Völkermord betrieben wurde, ist etwas typisch Deutsches. Und das ist heute auch noch so, alles läuft reibungslos, alles läuft glatt, konsequent. Die gleichen Verhaltensmuster wurden auf andere Gebiete übertragen.

In diesen Tagen sind die Medien voll von den Ereignissen im November 38, Sonntagsreden werden gehalten, Gedenksteine enthüllt oder gefordert, Initiativen laden zu Gedenkmärschen ein. Was halten Sie von dieser Aufmerksamkeit?

Diese Art des Gedenkens ist natürlich unverbindlich. Im Grunde ist es ganz gleichgültig, was ihr macht. Denn alles wird perfekt gemacht und mit großem Aufwand, aber eine Bewältigung ist das nicht.

Das Gespräch führte Regina Keichel

Lea Fleischmann liest heute abend aus ihren Büchern im Überseemuseum, 20 Uhr

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